Interview mit Anne Walser

Anne Walser (41) aus Paris und wohnhaft in Zürich ist Filmproduzentin und Mitinhaberin von der Filmproduktionsfirma C-Films. Wie sie zur Filmproduktion kam, was ihr an ihrem Job am wichtigsten ist und welchen Schauspieler sie gerne mal verpflichten möchte, erzählt sie mir im Interview in ihrem Büro.Bild von Anne Walser

Wieso wolltest du in der Filmindustrie arbeiten?
Es war nicht so, dass ich seit ich zehn war, unbedingt in der Filmbranche arbeiten wollte. Im Gegenteil ich wollte zuerst Tierärztin, Architektin und dann Fotografin werden. Während der Uni landete ich als Runner auf einer Filmproduktion, weil ich Geld verdienen musste. Erst da wurde mir bewusst, was Filmproduktion eigentlich bedeutet und dass es offenbar ein Berufsfeld gibt, das genau meinen Interessen entspricht. Die Filmproduktion verbindet eine kreative Tätigkeit mit viel Administration und Organisation – wie etwa Verträgen ausarbeiten, für die Finanzen und Sponsoren verantwortlich sein und doch geht es immer um Geschichte! Dazu kommt: Fast immer hat man ein fantastisches Team um sich und jeder Film ist wieder ganz anders und konfrontiert mit neuen Themen. Mir konnte wirklich nichts Besseres passieren. Das Schicksal hat mich genau an jenen Ort gebracht, von dem ich gar nicht wusste, dass es ihn gibt.

Wer oder was hat dich bei dieser Entscheidung am meisten beeinflusst oder inspiriert?
Die C-Films wurde 1999 von drei Filmproduzenten gegründet. Einer davon, Peter Reichenbach, ist heute noch Geschäftsführer. Ich bin heute noch dankbar und glücklich, dass die drei, für mich damals ältere, und sehr erfahrene und gestandene Herren, Vertrauen in mich gesetzt und mir die Chance gegeben haben, mich zu beweisen. Obwohl ich jung und unerfahren war, haben sie an mich geglaubt und auf mich gesetzt. Und es machte Spass, ihnen zu beweisen, dass sie eine richtige Wahl getroffen haben! Diese Ausgangslage war inspirierend und hat mich insofern enorm beeinflusst, weil damit der Grundstein gegeben war, selber mal Produzentin zu werden und eines Tages jungen Menschen wie mir ebenfalls solche Chancen zugeben.

Ist es schwierig als Frau in dieser Männerdomäne Fuss zu fassen oder hast du dir das gar nie überlegt?
Klar, das Filmgeschäft war und ist eine Männerdomäne, aber zum Glück sind Zeichen des Wandels in Sicht und ausserdem habe ich mir das nie überlegt und hatte auch nie das Gefühl, dass ich Nachteile gehabt habe als Frau. Im Gegenteil, ich hatte (und habe) eher das Gefühl, dass es enorm wichtig ist, in einer männerdominierten Umgebung eine weibliche Note einzubringen und dies sehr wohl auch geschätzt wird.

Was rätst du gerade jungen Frauen, die sich im Filmbereich etablieren möchten?
Egal ob Frau oder Mann, wenn man sich im Berufsleben noch nicht gefestigt hat, soll man sich die Zeit nehmen und Mut haben auszuprobieren und sich auf Dinge einzulassen, um herauszufinden, wo man am meisten Spass hat. Ich bin der vollsten Überzeugung, dass wenn jemand Spass an der Arbeit hat und Herzblut in eine Sache investiert, man ganz, ganz weit kommt. Sei dies in der Filmindustrie oder in sonst einem Berufsfeld. Man muss am richtigen Ort sein. Es gibt nichts Schlimmeres, als die falsche Person am falschen Ort. Wenn eine Person nur kämpfen muss und die ganze Zeit unglücklich ist, ist das keine gute Ausgangslage.Bild Filmplakat Akte Grüninger, Anne Walser

Wie kann ich mir den Alltag einer Produzentin vorstellen?
Oh, man schläft sehr wenig und manchmal zugegebenermassen auch schlecht (lacht). Es gibt keinen richtigen Alltag. Der Tag wird von den einzelnen Filmprojekten bestimmt. Wenn du einen Film über Zwingli machst, bist du auf einmal mit mittelalterlichen und Religionsthemen beschäftigt und ich habe Meetings mit Pfarrern oder Historikern. Beim letzten Film wiederum ging es um eine Rollstuhlsportlerin, da stand in im engen Kontakt mit dem Paraplegiker-Zentrum und musste über Parasport recherchieren. Und, und, und. Jeder Film führt einem in eine andere Welt und das ist unglaublich spannend. Zurück auf die Alltagsfrage: Ich stehe relativ früh auf und arbeite zuerst zwei, drei Stunden bei mir zuhause in aller Ruhe. Dann komme ich gegen 9, halb 10 ins Büro und schaue, was im Team anfällt, was die wichtigsten Aufgaben sind. Es läuft immer sehr viel parallel und wir betreuen zehn bis 15 Projekte gleichzeitig, natürlich alle auf einem anderen Level – da musst du lernen Prioritäten zu setzen. Damit dich all die Pendenzen nicht in den Wahnsinn treiben. Ich bin auch oft an Meetings. Der Job einer Filmproduzentin besteht auch darin, Leute zu Dingen zu bringen, die sie eigentlich nicht wollen. Sie für ein Projekt zu überzeugen oder Geld zu geben. Dies macht man am besten persönlich.

Wie hiess dein erster Film?
Das war der Fernsehfilm «Der Mann und das Mädchen». Da war ich als Produktionsassistentin dabei. Bereits bei der zweiten Filmproduktion haben mich meine damaligen Vorgesetzten für die Position der Produktionsleiterin angefragt. Dies war einer der grössten Produktionen, die es in Europa gegeben hat: «Die Manns- Ein Jahrhundertroman», ein Dreiteiler über die Familie von Thomas Mann. Ich hatte damals ehrlich gesagt keine Ahnung, was es hiess Produktionsleiterin zu sein, ich war ja kaum eine erfahrene Produktionsassistentin. Ich habe bei der Anfrage allerdings ebenso begeistert und vielleicht auch etwas unüberlegt zugesagt, wie mein damaliger Chef mich dafür angefragt hat. Aber zu guter Letzt: Es war zwar wahnsinnig streng, aber es hat alles wie am Schnürchen funktioniert und ab da gab es für mich kein Zurück mehr. Ich hatte mich ins Filmbusiness verliebt und wollte nie mehr darauf verzichten.

Wie oft trifft man dich auf Filmsets an?
Eigentlich habe ich an einem Filmset nichts Konkretes zu tun. Dafür gibt es ja das Filmteam, welches exakt organisiert ist. In einer normalen Drehwoche gehe ich zwei-, dreimal beim Dreh vorbei. Meistens bin ich dort, wenn es ein Problem gibt oder eine wichtige Szene gedreht wird. Wenn zum Beispiel eine Szene nicht so gedreht wird, wie ich es mir vorgestellt habe, gebe ich dem Regisseur Input oder diskutiere mit ihm und den Darstellern, wie man zukünftige Szenen besser gestalten will.  Sonst bin ich eher am Set, um gute (hoffentlich!) Stimmung zu verbreiten, mit den Statisten und Schauspielern zu reden und der Crew wieder einmal Danke zu sagen. Wo ich immer versuche dabei zu sein, sind die Film-Partys, von denen es unzählige am Set gibt. Man sollte als Produzentin zeigen: Man ist mit Herz und Seele Teil des Teams.

Wie erholst du dich von deiner Arbeit?
Das wichtigste an meinem Job ist, dass ich meine Begeisterungsfähigkeit behalte. Sonst wäre ich eine ganz schlechte Produzentin und niemand hätte Lust mit mir ein Projekt zu machen. In unserer Firma wird es grossgeschrieben, dass wir Spass haben. Mein Leben ist mein Job und umgekehrt. Ich versuche sehr viel Sport zu machen, in dem ich jeden Tag mindesten eine halbe Stunde draussen bin. Sei es auch nur spazieren. Manchmal überwinde ich mich auch zu joggen (lacht). Ich lese sehr gerne und schaue Filme, was mir natürlich auch beruflich wieder Inspiration gibt. Natürlich verbringe ich auch gerne Zeit mit Freunden. Am meditativsten ist aber Segeln für mich. Wenn es mir ganz schlect geht, gehe ich oft segeln, danach geht es mir meistens wieder gut. Es ist mir ausserdem sehr wichtig, jeden Abend zu kochen oder zumindest auswärts etwas Feines zu essen. Dies alles beinhaltet Erholung für mich.

Welches Filmset wirst du nie vergessen und wieso?
Mhh, jeder Film, den ich gerade produziere, ist mein Lieblingsfilm. «Zwingli» werde ich natürlich nicht so schnell vergessen. Es ist schon beeindruckend, wenn man sich auf einmal im Mittelalter wiederfindet. Alle Schauspieler und Statisten in diesen Kostümen mit Warzen, Pestbeulen und diesen Bärten. Oder natürlich auch der Film über Thomas Mann. Da hatten wir eine ganz wichtige Szene vor dem NZZ-Gebäude gedreht und alle Tramlinien wurden gesperrt. Es waren 600 Statisten, die alle Winterkleider aus den vierziger Jahren anhatten und wir hatten gerade Hochsommer. Ich stand da und staunte, dass dies alles möglich war. In diesem Moment habe ich gemerkt, genau das will ich in Zukunft machen.Bild Filmplakat Lina, Anne WalserWas ist es für ein Gefühl, wenn ein von C-Films produzierter Film im Kino/Fernsehen zu sehen ist?
Ich sehe die von mir produzierten Filme mindestens an die dreissig bis fünfzig Mal, und natürlich verliert man da bisweilen die Objektivität und beginnt gar zu zweifeln oder Dinge zu sehen, die es gar nicht gibt oder geben sollte.  Eines ist jedoch klar:  Jedes Mal, wenn der Abspann läuft und ich die Namen all der Menschen sehe, die mitgearbeitet haben und die ich im Verlauf der gesamten Filmentwicklung kennen und schätzen gelernt habe, wird es mir warm ums Herz, wie viele Menschen ihre Zeit und ihr Herzblut in diesen Film investiert haben. Für alle diese Menschen verantwortlich zu sein, ist schon ein schönes Gefühl. Die Premiere von «Youth» war im grossen Festivalkino in Cannes. Auf einmal gibt’s Standing Ovation und die Zuschauer klatschen 15 Minuten, da kommen einem schon ein bisschen die Tränen. Das sind ganz spezielle Momente.

Über welche Produktion bist du besonders stolz?
Auf «Zwingli» bin ich sicherlich stolz, weil es eine aufwendige und teure Produktion war. Viele Leute haben mir gesagt, dass ich dies in der Schweiz gar nicht finanzieren könne, ich besser die Finger davonlasse. Aber: Es ging doch, weil ich auch nicht aufgegeben habe. Aber auch «Youth» erfüllt mich mit Stolz, weil es ein irrsinnig spezieller Film ist, der auch international Aufsehen erregt hat und ich und mein Team es geschafft haben, dass Weltstars in die Schweiz zum Dreh gekommen sind. Ebenfalls stolz bin ich über den Film «Die Akte Grüninger» – eine Hommage an einen Menschen, der so viel Gutes und Wichtiges getan hat in der Schweiz.

Nach welchen Kriterien entscheidest du, ob du einen Film oder eine Serie produzierst?
In erster Linie aus dem Bauch. Ich muss mit diesen Projekten doch sechs, sieben Jahre verbringen. Wenn ich nicht begeistert bin, bringt es nichts. Natürlich wäre ich eine schlechte Produzentin, wenn ich nur nach dem Lustprinzip arbeiten würde. Der Film muss schon ein Marktpotential haben. Bis jetzt haben wir die Gratwanderung immer geschafft, als Firma 120 Prozent emotional und rational hinter unseren Projekten zu stehen und auch eine Zuschauerschaft zu erreichen.

Von anderen Regisseuren habe ich schon gehört, dass es schwieriger ist, eine wahre Geschichte zu produzieren, als zum Beispiel diverser Teile von Superman. Siehst du das auch so?
Nein, überhaupt nicht. Das europäische Kino ist aber auch anders als das amerikanische. Natürlich produziert ein Studio lieber Superman, weil es auf einem Label aufbaut. Aber eine wahre Geschichte ist auch nichts anderes als ein Label, um es ein bisschen oberflächlich zu sagen. Man muss die Zuschauer nicht völlig auf ein neues Thema vorbereiten. Es war ein Ereignis, dass die Welt schon damals erschüttert hat. Sei es das Swissair Grounding oder die Verdingkinder. So hat man automatisch schon Aufhänger in der Presse und Menschen, die eine gewisse Affinität zu diesem Thema haben. Ich finde wahre Geschichten viel spannender. Oft schreibt das Leben die besten Geschichten. Die Fantasie ist gar nicht so weit reichend, schnell glaubt man, dass man übertreibt. Hört man dann aber die Hintergründe einer wahren Geschichte, sind sie oftmals viel unglaublicher.Bild Filmplakat Youth, Anne Walser
Mit wem würdest du gerne einmal zusammenarbeiten und über wen einen Film produzieren?
Den Schauspieler Benicio del Toro hätte ich wahnsinnig gerne mal in einem meiner Filme. Es war mir natürlich klar, dass er nicht den Zwingli spielen konnte (lacht). Aber irgendwann habe ich schon eine Rolle für ihn. Ich liebäugle auch mit gewissen grossen Literaturwerken, wie Bücher zum Beispiel von Max Frisch oder das Buch «Felix Krull» von Thomas Mann. Was beruhigend ist: ich habe so viele Träume und viele scheinen greifbar. Etwas Schöneres kann mir gar nicht passieren.

Es gibt auch einige Produzenten, die Regie führen oder selbst schauspielern. Hast du auch schon darüber nachgedacht?
Die Regie-Funktion überlasse ich lieber anderen. Ich hätte gar keine Geduld, unzählige Male die gleiche Szene zu drehen, mich auf diesen exakten Rhythmus einzulassen. Als Schauspielerin würde ich mich noch weniger eignen, weil ich viel zu störrisch bin und ständig reinreden würde. Die Drehbucharbeit hingegen sehe ich eher für mich. Bereits jetzt liefere ich für jedes Drehbuch über Jahre Input und wenn ein Autor nicht weiterkommt, habe ich auch schon selber einige Szenen geschrieben und zu neuen Anläufen inspiriert. Wer weiss, vielleicht habe ich irgendwann mal Zeit und Musse, ein ganz eigenes Buch zu schreiben…

Was sind deine Ziele für die Zukunft?
Mein Ziel ist sehr banal: ich möchte einfach Spass haben, gute Filme produzieren und weiterhin mit vielen tollen Menschen zusammenarbeiten, die auch Spass haben.

Bilder: Anne Walser, C-Films, SRF

1 Kommentar

  • Pierre Rothschild 14/06/2018 at 7:54 am

    Ein hervorragendes Interview. Ein guter Einblick für alle, die sich für das Thema Film interessieren.

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