Interview mit Éric Toledano und Olivier Nakache

Die beiden französischen Drehbuchautoren und Regisseure Éric Toledano (48) und Olivier Nakache (46) stellten am Zurich Film Festival ihren neuen Film «Hors Normes» vor. Ein Meisterwerk sondergleichen! Die Geschichte berührt und begeistert mit unvergleichlichem Humor. Der beste Film des Jahres!  

Bild von Éric Toledano und Olivier Nakache

Im Interview erzählen Éric und Olivier, wie es war mit Laien zu drehen, woher sie Stéphane und Daoud kennen und wie dieser Film sie persönlich veränderte. Selbst während dem Interview beweisen die Zwei Humor, ohne dabei der Ernsthaftigkeit des Themas abbruchzutun.

Wie habt ihr von der Geschichte von Stéphane Benhamou und Daoud Tatou erfahren?
Éric: Das ist eine sehr lange Geschichte, ich werde sie für dich zusammenfassen (lacht). Wir haben Stéphane Benhamou, der von Vincent Cassel gespielt wird, in einem Sommercamp kennengelernt. Das Camp war für «normale» Kinder. Als ein Elternpaar kam und fragte, ob ihr autistisches Kind ebenfalls teilnehme könnte, sagte Stéphane ja. Der Campleiter wollte dies nicht, aber Stéphane hatte schon sein Wort gegeben. Der Arzt bemerkte Fortschritte bei dem Jungen und sagte Stéphane er solle weitermachen und andere Autisten aufnehmen. Deswegen eröffnete er eine Schule und bat uns um Hilfe. Wir haben mit einer kleinen Kamera viel Bildmaterial gedreht, um zu zeigen, wie sie sich um die Autisten kümmern und konnten ihn damit ein bisschen finanziell unterstützen. Wir hielten immer den Kontakt. Vor zwei Jahren rief er uns an und erzählte uns von der Inspektion durch die Gesundheitsbehörde. Wir dachten beide, dass er aufhören wollte und sagten ihm, mach das nicht, wir drehen einen Film! Dieser Film ist dem autistischen Jungen aus dem Sommercamp gewidmet, weil er mittlerweile verstorben ist.

Und wie haben sich Stéphane und Daoud kennengelernt? Stéphane ist gläubiger Jude, Daoud gläubiger Moslem, so eine Freundschaft ist leider eher rar. Aber für mich sehr inspirierend und gibt Hoffnung.  
Olivier: Es ist auch sehr inspirierend für uns. Sie haben sich vor 25 Jahren kennengelernt und arbeiten zusammen und das Leben von Kindern zu retten. Als wir dabei waren den Film zu finanzieren, gingen wir zu Fernsehstudios und erzählten folgende Geschichte. Der Film handelt von Autisten, die zum Teil nicht sprechen können, auf der anderen Seite gibt es diese beiden Religionen, die manchmal auch nicht miteinander kommunizieren. Unser Meinung nach ist diese Freundschaft nur möglich wegen den Autisten. Sie kreieren das Gefühl, dass es möglich ist. Für uns ein Paradebeispiel, an dem man sich orientieren sollte. Normalerweise sind solche interreligiösen Beziehungen von Hass geleitet, aber hier ist dies nicht der Fall.

Bild aus dem Film Hors Normes

Spürt ihr einen Druck bei einem neuen Film nach euren Grosserfolgen mit «Intouchables» oder «C’est la vie»? Oder ist es euch egal und ihr dreht einfach eure Filme?
Éric: Für uns kommt es nicht wirklich darauf an. Wir versuchen so gut es geht, aufrichtig und authentisch zu sein. Wir wollen einfach unsere Filme drehen und die Geschichte erzählen. Natürlich sind wir an die Fakten gebunden, weil wir eine wahre Geschichte verfilmen und nicht lügen wollen. Aber wir machen keine Dokumentarfilme. Es ist eine Fiktion mit Schauspielern und Laien.

Aber es waren Schauspieler, die die Autisten gespielt haben?
Olivier: Nein, der einzige Autist, der von einem Schauspieler gespielt wird, ist Valentin.

Beeindruckend. Wie habt ihr zum Beispiel bei der Szene als Valentin zum ersten Mal die Pferde sieht, gewusst, wie er das wahrnimmt?
Éric: Ärzte haben und das mitgeteilt. Autisten haben eine spezielle Realitätswahrnehmung, sie fokussieren sich auf Kleinigkeiten, wie ein Auge oder ein Geräusch. Wir haben aufgrund von dem gesammelten Wissen versucht, so gut es geht, die Realität eines Autisten darzustellen.

Bild aus dem Film Hors Normes

Wie hat euch diesen Film zu drehen verändert, gegenüber Menschen mit Autismus oder jeglicher Art von Anderssein?
Éric: Es ist eine tiefe Erfahrung, zwei Jahre mit all diesen Menschen zu verbringen. Es ist ein wirkliches Stück Menschlichkeit, was diese zwei Männer leisten. Wir wollen mit diesem Film auch nichts verkaufen, sondern einfach diese Menschlichkeit zeigen. Der Film hat uns sehr verändert.

Olivier: Wir waren schon Jahre vorher mit diesen Menschen verbunden und uns war bewusst, was sie leisten. Wir wollten dem Publikum zeigen, was wir fühlten.

Was sagt Stéphane zum Film?
Olivier: Stéphane geht nicht so oft ins Kino, er hat ja keine Zeit. Er hat zum Beispiel «Intouchables» nicht gesehen, was die Mehrheit der Franzosen hat. Er ist ein Machertyp und denkt nicht wirklich darüber nach, was der Film bewirken könnte. Wenn der Film hilft, dass seine Schützlinge rausgehen können und er für sie da sein kann, ist es genug.

Bild aus dem Film Hors Normes

Welche Botschaft, und es gibt unzählige in diesem Film, wünscht ihr euch, dass das Publikum mit nach Hause nimmt und mit Freunden diskutiert?
Éric: Mir kommt da etwas in den Sinn, dass die Eltern gesagt haben: Wenn du ein autistisches Kind hast, ist es schon ziemlich schwer die passende Schule zu finden, Aktivitäten und Freunde. Manchmal gehst du nach draussen und das Kind hat einen Gefühlsausbruch. Alle schauen dich dann böse an. Diesen Blick in den Augen der Menschen zu ändern, wünschte ich mir. Weil das Leben dieser Eltern schon so sehr hart ist, dann brauchen sie nicht noch diese vernichtenden Blicke.

All die Regierungsbeauftrage aufzurütteln und aufzuzeigen, dass die schweren Autistenfälle keinen Platz haben in unserer Gesellschaft und sich dies dringend ändern muss! Eine Gesellschaft, die sich nicht um alle ihre Mitglieder kümmert, auch wenn sie anders sind, ist keine gute Gesellschaft. Wir wollen die Alten nicht sehen und andere Menschen mit Handicaps, nehmt sie aus unserem Blickfeld und sie existieren nicht. Was wir dem Publikum mit all unseren Filmen mitgeben wollen ist, ihr glaubt anders zu sein, aber ihr seid es nicht. Also schaut nicht weg und integriert die «Anderen» in euren Leben.

Olivier: Es ist aber schwierig eine Botschaft zu vermitteln, weil der Zuschauer das mitnimmt, was er will. Uns war es einfach wichtig, diese Familien zu zeigen, die wie schwarze Löcher sind. Niemand wollte sich um diese Kinder kümmern. Also nahmen sich Stéphane und Daoud diesen Menschen an und wir wollten dies dem breiten Publikum bewusst machen.

Bild von Olivier Nakache

Wie unterscheidet sich dieser Film von euren anderen?
Olivier: Er ist ernster und die Realität und Fiktion vermischt sich mehr. Wir arbeiteten mit vielen Laien zusammen, das erfordert mehr Zeit. Er ist persönlicher, politischer und wir hätten ihn nicht vor zehn Jahren realisieren können. Heute fühlen wir uns selbstbewusster und getrauen uns auch andere Kameraeinstellungen zu zeigen, wie eben Autisten wahrnehmen.     

Im Film sehen wir ja, dass Stéphane die Erlaubnis erhält weiterzumachen. Aber die Behörde kann jederzeit wieder eine Inspektion machen und mit der Schliessung drohen oder?
Olivier: Ich hoffe, sie lassen ihn aufgrund des Films mehr in Ruhe. Aber die Situation an sich, ist nicht geklärt. Die Presse und die Zuschauer können dem Film viel Aufmerksamkeit verleihen und die Regierung aufrütteln. Aber das ist immer die Magie des Kinos, man weiss nie, wie ein Film ankommt. Zurzeit gibt es keine wirklichen Neuigkeiten, wir sehen aber, dass die Behörde nach einer Lösung sucht.

Was müsste sich euer Meinung nach in der Regierung und Gesellschaft ändern, dass diese Menschen mehr Beachtung kriegen?
Éric: Sie müssen mehr integriert werden. Im Speziellen bei Autisten sollte die Diagnose früher gestellt werden. Dann haben sie mehr Chancen auf ein besseres Leben, wenn ihnen früher mit den richtigen Mitteln geholfen wird.

Bild von Éric Toledano

Bilder: © Ascot Elite Entertainment Group. All Rights Reserved., Thomas Niedermueller/Getty Images for ZFF

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