Interview mit Moritz Bleibtreu

Moritz Bleibtreu (49) stellte am Zurich Film Festival sein Regiedebut «Cortex» vor. Geschrieben hat er das Drehbuch auch gleich selbst und den Film produziert. Nur das mit der Hauptrolle war nicht so geplant. Wieso, erzählt er mir im super angenehmen und witzigen Interview, und dass er neben all den Rollen, in die er eingetaucht ist, sehr gerne der Moritz ist.

Bild von Moritz Bleibreu

Glaubst du, sie haben einen tieferen Sinn?
Gegenfrage, hast du nicht auch schon mal etwas geträumt, bist aufgewacht und fandest diesen Traum ganz schön komisch? Dieses spirituelle Element daran fasziniert mich sehr. Wir kennen das auch alle und akzeptieren es. Wenn wir als Gegenpart die Religion nehmen, bei der es Diskussionen gibt, ob es einen Gott gibt oder nicht etc. Aber es ist überhaupt nicht streitbar, dass es Parallelen zwischen unserer echten Realität und der Traumrealität gibt. Es gibt da Überschneidungen, die nicht wirklich erklärbar werden und gleichzeitig wird es aber negiert. Unsere Traumrealität ist unser Kino, dass wir alle mit uns rumtragen. Wenn wir einschlafen geht der Vorhang auf und wir erzählen uns selbst Geschichten, die wir selbst geschrieben haben, aber haben keine Ahnung warum. Das finde ich enorm faszinierend.

Wie hast du dich in diese Thematik eingearbeitet? An wem hast du dich orientiert?
An Jung noch mehr als an Freud, den finde ich in Bezug auf Träume noch spannender. Nach Freud und Jung ist in der Wissenschaft diesbezüglich gar nicht mehr so viel passiert. Alles was heute in der Wissenschaft untersucht wird, stützt sich immer noch sehr stark auf Freud.   

Wie ist die Idee zum Film entstanden?
Die Grundidee war, wieso noch nie jemand einen psychologischen Bodyswitch gemacht hat. Wir kennen das Genre seit den 40 Jahren und es wird immer in Komödien umgesetzt. Zum Beispiel ein Mann befindet sich im Körper einer Frau. Aber der psychologische Aspekt: Was wäre, wenn du ich bist und umgekehrt, hat noch nie jemand umgesetzt, obwohl dies doch am naheliegendsten wäre. In meiner Kindheit habe ich mich oft in Leute reingeträumt. Ich war ein irrer Tagträumer und wollte in meiner ganzen Kindheit nicht ich selbst sein. Ich wollte lieber der Typ der Parallelklasse sein, Bruce Lee oder der coole Rapper. Ich glaube, das ist eine ganz alltägliche Sache. Es gibt sicher niemanden, der noch nie Realitätsflucht betrieben hat. Obwohl wir dieses Genre so haben, hats noch keiner ernst genommen. Ich habe mir dann überlegt, Bodyswitch, psychologisch, wie kann es dazu kommen. Dann kam mir die Idee: Einer träumt vom anderen im Traum und wird zu ihm. Dann gings los.

Bild aus dem Film Cortex

Du warst Regisseur, Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Produzent, wie hast du all diese Herausforderungen gemeistert?
Ich wollte eigentlich nicht spielen. Ich wollte schreiben und inszenieren, produzieren liegt auf der Hand, wenn du das schreibst und inszenierst, dann willst du auch bei der Entscheidungsgewalt mit am Tisch sitzen. Das Spielen war meiner nicht Erfahrung als Regisseur geschuldet. Als Warner sich bereit erklärt hat, mitzumachen, gings relativ schnell. Es war Oktober und dann hiess es wir drehen im Januar. Subvention ist dann Fluch und Segen zugleich. Wenn diese Gelder da sind, dann musst du auch drehen. Ich habe mit dem Casting begonnen, aber fand niemand, der wirklich auf die Rolle passte. Ich habe beim Schreiben des Drehbuchs auch nicht an spezifische Schauspieler gedacht. Bevor ich dann jemanden besetze, der nicht hundertprozentig passt, spiele ich es lieber selbst, und werfe mir vor, mich fehlbesetzt zu haben. Produktionstechnisch wars auch gut, weil wir haben den Bleibtreu ganz billig bekommen (lacht).

Was hat dich an deiner Rolle am meisten fasziniert?
Gar nichts, ich wollte sie nicht spielen (lacht).

Aber als du sie dann spielen musstest (lacht)?
War es lustig. Für Hagen hatte ich mir da was ganz anderes vorgestellt, ich bin viel zu vital, der Hagen hat eigentlich eine ganz andere Temperatur von Mensch. Ich war dann überrascht und habe erkannt, dass es doch Übereinstimmungen mit mir gibt. Es ist eigentlich auch logisch, wenn du dir die Figuren ausdenkst, kannst du ja nur aus dir selber schöpfen. Als ich dann doch Eigenschaften gefunden habe, mit denen ich arbeiten konnte, musste ich mich einfach von der Figur lösen, die ich mir vorgestellt habe. Am Ende hat es dann auch gut funktioniert.


Wieso hast du diese Art von Erzählform gewählt?
Die Initialzündung zur Narrativ war wahrscheinlich «Memento», deswegen wird auch «Inception» mit dem Kreisel zitiert. Christopher Nolan ist sicherlich jemand, der die Erzählstruktur im Kino nochmals gründlich auf den Kopf gestellt hat. Ich habe das auch schon immer in der Literatur gemocht: Hier geht’s lang, ne doch nicht, hier ist die Fährte falsch, war’s der Gärtner? Nein, nein, es war der Koch. Es ist anstrengend so etwas zu schreiben, weil es so ein bisschen Sudoku ist, Fleissarbeit. Mir macht diese Art der Erzählung als Zuschauer viel Spass und ich wollte mit «Cortex» vor allem mal, wie Tarantino immer so schön sagt, einen Film machen, den ich selber gerne auf der deutschen Leinwand sehen möchte.  

Ein wichtiges Element ist auch die Musik, wie bist du an sie herangegangen?
Etwas Wichtiges, was ich als Regisseur gelernt habe, ist, dass deine Taschen immer gefüllt sein müssen. So ein Film ist wie ein Flugzeug, wenn du abgeflogen bist, kannst du nicht mal schnell runter und eine Dose Thunfisch holen. Beim nächsten Mal mache ich das auch definitiv anders. Ich habe mich echt schwer getan mit der Musik. Da hat uns Erwin Kienast, der Vater von unserem Kameramann gerettet. Er hatte eine ganz andere Herangehensweise und brachte diese, wie ich sie nenne, erdige, naturverbundene Musik mit. Er hat auch Chöre verwendet. Er hat einen merkwürdigen Anachronismus geschaffen, der aber unheimlich gut funktioniert hat. Auch diese vielen raren Töne, wie Gnuhörner und tibetanische Klangschalen. Für mich riecht der Soundtrack nach Erde, Grab und Würmer. Musik ist ein Riesending und ich muss da als Regisseur noch einiges lernen.

Was hat es mit dem Fuchs auf sich?
Das werde ich immer wieder gefragt oder auch, was in dem Koffer ist. Der Fuchs ist nichts weiter als ein visuelles Eselsohr. Wir kennen das aus der Traumatherapie von Verstrickung von Impuls und Signal. Zum Beispiel wurden in einer Studie Kinder auf eine Art traumatisiert und dieses Trauma wurde in Verbindung mit einem visuellen oder akustischen Reiz gesetzt. In diesem Moment lässt sich nicht nur auf die Persönlichkeit, sondern auch auf das Handeln dieser Menschen Einfluss nehmen. Der Fuchs hat eigentlich gar nicht so viel Bedeutung. Gleichzeitig habe ich gehört, dass die Füchse die Vorstädte von Berlin terrorisieren, weil sie so geschützt werden, dass sie sogar unsere Katzen auffressen.

Bild aus dem Film Cortex

Siehst du den Beruf Regisseur nun anders?
Ich sehe die Art und Weise, wie man diesen Beruf ausübt klarer vor mir und auch mich als Regisseur. Ich weiss jetzt, was ich für eine Art von Regisseur bin. Ich bin kein Regisseur, der alles an sich reisst und die Dinge genauso umgesetzt haben will, wie ich es will. Es gibt natürlich auch grossartige Filme, die Regisseure mit ihrer egozentrischen Art erreicht haben. Ich sehe mich da eher in der Spielberg Tradition. Und nicht um mich mit Spielberg zu vergleichen, sondern wie er Filme macht. Er delegiert, weil er mit den Besten zusammenarbeitet und dann nicht mehr zehnmal draufschauen muss. Er hat sich über die Jahre einen Stamm von super Leuten aufgebaut und so würde ich mich auch gerne sehen. Es war bei «Cortex» für mich ein Riesenvorteil, dass ich der bin, der ich in der deutschen Filmbranche bin. Wenn ein junger Filmhochschüler aus Ludwigsburg mit dem Buch angekommen wäre, hätten sicherlich auch alle gesagt: «Danke, schreib mal was Neues, vielleicht ein Kurzfilm erstmal». Ich hatte den grossen Vorteil, dass Leute bei mir mitgemacht haben, die selbst wenn sie es nicht ganz verstanden haben, genug interessiert waren, herauszufinden, was das wird. Thomas Kienast, mein Kameramann, war völlig unabdingbar. Gerade mit dieser Doppelbelastung brauchte ich jemanden an der Kamera, der weiss, wies geht.

Willst du in Zukunft vermehrt auch Regie führen?
Wenn man mich lässt und wenn «Cortex» nicht dazu führt, dass man mir nie wieder Gelder anvertraut, dann möchte ich gerne Filme schreiben und Regie führen. Ich werde aber immer ein Schauspieler sein, das ist meine grosse Leidenschaft.

Gibt es dazu konkreten Ideen zu einem nächsten Film?
Die gibt’s, die gibt’s. Etwas ganz anderes, das genaue Gegenteil. Tragikomödie, lange Szenen, Dialog, lustig (lacht).

Wieso bist du gerne Schauspieler?
Das geile ist ja, dass ich dafür bezahlt werde, so zu tun, als wäre ich jemand anders. Deswegen lieben viele Menschen den Schauspielerberuf auf so eine merkwürdige Art, weil es uns so innewohnt. Ich wusste immer, dass ich Schauspieler werden wollte, weil ich auch geprägt bin von der Schauspielerei. Meine Mama hat mir mal ein Buch von Laurence Olivier gezeigt, als ich fünf oder sechs war. Es gab vier Seiten mit Bildern in den verschiedensten Rollen von ihm. Ich war so fasziniert, dass dies alles er war und da war mir klar, dass will ich auch machen. Es ist auch eine Realitätsflucht und ein riesiger Luxus. Du darfst für eine bestimmte Zeit jemand anders sein, dich auch mal komplett daneben verhalten und verkaufst dann das den Leuten als künstlerische Metamorphose. Es ist grossartig, denn du wirst auch noch dafür bezahlt und im besten Fall kriegst du noch einen Preis. Eigentlich ist es das ungerechteste, was es überhaupt gibt (lacht), aber auch ganz toll. Sicher, wenn ich den Beruf nicht hätte, dann würde ich mich vielleicht auch hie und da in andere Leute reinträumen wollen. Dadurch, dass ich ständig ein anderer sein darf, bin ich auch gerne Moritz.  

Bild von Moritz Bleibreu und Daphne Chaimovitz
Am Zurich Film Festival 2017

Bilder: Daphne Chaimovitz

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