Interview mit Pascal Ulli

Pascal Ulli (52) aus Bern ist Schauspieler, Regisseur, Produzent und neu auch Autor. Die Corona-Pandemie hat er dazu genutzt ein Buch zu schreiben, um junge Schauspieler*innen zu unterstützen. Am windigen Zürichsee erzählt Pascal mir, dass er seinen Traum nie aufgeben hat, obwohl oder gerade, weil er fünfzehnmal von Schauspielschulen abgelehnt wurde und wie sein erster Hollywood-Dreh war.

Bild von Pascal Ulli

Wolltest du schon immer Schauspieler werden?
Nein, zuerst wollte ich Clown werden, weil ich 1973 Dimitri im Zirkus Knie gesehen hatte. Dann Filmstar, bis ein netter Erwachsener mich nicht auslachte, so wie all die anderen, denen ich mein Berufsziel verriet, sondern mir erklärte, dass Filmstar kein Beruf ist, sondern dass Filmstars von Beruf Schauspieler sind (lacht). Seither wollte ich Schauspieler werden, also, seit ich sechs Jahre alt war.

Was war dein erster Film?
Mein erster Film war «Solitude Roses of Alchemy». Eine Mischung aus Kunst-, Spiel- und Dokfilm in schwarz-weiss von einem japanischen Regisseur der NYU in New York. Dort war ich 1990 an der Schauspielschule, am H.B. Studio unter der Leitung von Uta Hagen. Ich sprach über den Traum Schauspieler zu werden. Am Schluss sagte ich, und wenn alles nichts wird, kann ich zurück in die Schweiz und ein normales Leben führen.

Als was wäre das gewesen?
Ich hatte nie einen Plan B. Das hatte ich nur so gesagt. Ich bin gegen Plan B. If you want to take the island, burn the boats!

Bild von Pascal Ulli beim Regie führen

Du bist jetzt seit 30 Jahren in der Filmbranche tätig, wie hat sie sich über die Jahre verändert?
In der Schweiz hat sie sich super verändert. Einige Kolleginnen und Kollegen in meinem Alter haben den Sprung nach Europa und ins weitere Ausland geschafft und so den Weg für die junge Generation geebnet. Junge Schweizer Schauspieler*innen haben heute viel mehr Chancen. Mittlerweile gibt es ja auch einen Schweizer Filmpreis für Schauspieler. Als ich Anfang der 90er Jahre mit der Filmerei begann, gab es die Kategorie Schauspieler nicht! Unglaublich.

Damals gab es pro Jahr etwa vier grössere Kinoproduktionen und einen «Tatort», also nicht wirklich viel und es wurde hauptsächlich in Hochdeutsch gedreht. Dann kamen Regisseure wie Michael Steiner mit «Nacht der Gaukler» und Florian Froschmayer mit «Exklusiv», die mit ihren Filmen nicht nur Kunst machen wollten, sondern auch den kommerziellen Erfolg an der Kinokasse im Auge hatten. Zusammen mit der Tatsache, dass die beliebte TV-Soap «Lüthi und Blanc» das Schweizer Publikum wieder an Filme in Mundart gewöhnte, war dies der Startschuss zu einem kleinen Schweizer Filmwunder und zu einer Schweizer Filmindustrie, wie wir sie heute kennen. Ich hatte natürlich grosses Glück, sowohl in «Nacht der Gaukler» als auch in «Lüthi und Blanc» mitspielen zu dürfen.

Was rätst du angehenden Schauspieler*innen?
Du brauchst einen Plan. Wenn ein Kind Wimbledon gewinnen will, braucht es neben ganz viel Selbstdisziplin und Training auch den richtigen Trainer, das richtige Management, einen Fitnesscoach, einen Ernährungsberater etc. Alles in allem ein Team von so um die 10 Leute. Wenn der Traum des Kindes ist, einen Oscar zu gewinnen, muss es genau so hart arbeiten wie Roger Federer und es braucht auch Menschen, die es bei seinem Vorhaben unterstützen. Ich bin zum Beispiel nicht besonders sprachbegabt, aber spreche mittlerweile sieben Sprachen. Du musst einfach täglich daran arbeiten. Aufgrund der vielen Anfragen, besonders von besorgten Eltern, deren Kinder Schauspieler*innen werden wollen (lacht), habe ich in der Pandemie das Buch «Sei ein*e Träumer*in, werde Schauspieler*in» geschrieben. Es erscheint am 22. September 2022, an meinem 53. Geburtstag. Darin verrate ich, was es alles braucht, damit man von der Schauspielerei gut leben kann.

Also ich beglückwünsche alle Eltern, deren Kinder wissen, was sie wollen. Denn wenn du etwas wirklich mit ganzer Liebe und Hingabe willst, dann bist du auch bereit, ein Leben lang dafür zu arbeiten. Es ist nicht unsicher Schauspielerin zu werden. Ein abgeschlossenes Studium und eine Arbeit in einem Betrieb können genau so unsicher sein. Natürlich kannst du nicht nur in der Schweiz von der Schauspielerei leben. Du musst ins Ausland. Deswegen musst du sehr gut Hochdeutsch, Englisch und andere Sprachen lernen. Dann hast du mal was zu tun. Ich selbst habe fünfzehn Aufnahmeprüfungen an Schauspielschulen nicht bestanden, aber bis heute über 50 Filme in ganz Europa gedreht. Und klar rate ich jungen Menschen, die Schauspielerin werden wollen, mein Buch zu lesen. Deswegen habe ich es geschrieben, weil es mir damals als junger Schauspieler extrem geholfen hätte, und ich mit so einem Buch viel schneller an mein Ziel gelangt wäre.

Bild von Pascal Ulli

Wie bist du damit umgegangen, fünfzehnmal abgelehnt zu werden?
Der richtige Mindset!  Das ist auch das erste Kapitel meines Buches. Klar, war ich damals wahnsinnig enttäuscht, wenn wieder eine Absage kam. Aber auf einer Zugfahrt nach Hamburg habe ich begriffen, dass wenn ich nicht darüber nachdenke, ob ich in eine Schauspielschule aufgenommen werde, sondern mich auf das konzentriere, was ich für die Prüfungen machen darf, dass ich dann glücklich war. Ich durfte viel proben und Theaterszenen vorbereiten und ich lernte Gleichgesinnte an diesen Prüfungen kennen, die sich auch für Goethe und Schiller begeisterten. Und die Prüfung selber war ja eigentlich wie eine Theaterpremiere. Einfach, dass die Zuschauer keinen Eintritt bezahlt hatten, sondern Schauspiellehrer waren, und mich jederzeit unterbrechen konnten mit «Danke, der Nächste bitte.» (lacht). Auf dieser Zugfahrt nach Hamburg wurde mir bewusst, dass ich ja bereits das Leben eines Schauspielers führte. Die Problematik liegt im Kopf der Leute, weil sie sich immer nur auf das Resultat fokussieren. Bestehe ich oder nicht. Zum Glück wurde ich nicht angenommen, sondern ging nach New York an die Schauspielschule. Dort habe ich noch viel Wichtigeres neben der Schauspielerei gelernt, zum Beispiel wie man produziert. Bei meiner Rückkehr in die Schweiz habe ich dann in Zürich die Off-Off-Bühne gegründet, inspiriert vom Off-Off-Broadway. Auch heute noch ist mein Glücksgefühl beim Arbeiten nicht grösser oder besser, nur weil ich für eine teure Netflix-Produktion drehe. Mir macht die Arbeit bei einem Low-Budget Film genauso viel Spass.  

Apropos Netflix, du standest gerade für die neue Mini-Serie «All the Light We Cannot See» vor der Kamera. Gibt es grosse Unterschiede am Set im Vergleich zu anderen Produktionen, gerade auch, wenn Hollywood-Grössen wie Mark Ruffalo dabei sind?
15 Aufnahmeprüfungen nicht bestanden und 30 Jahre später mit der A-Liga auf einem Set, bei dem Shawn Levy («Stranger Things», «The Adam Project» und «Free Guy») Produzent ist und Regie führt. Wer hätte gedacht, dass mein Kindheitstraum wirklich in Erfüllung geht? Den Unterschied macht nicht Netflix, sondern Hollywood. Dies war meine erste richtig grosse Hollywood-Produktion. Bei meiner ersten Netflix-Serie «Undercover» in Belgien, war es auch gross, aber es wurde gedreht wie in Europa. Hollywood ist einfach nochmal eine Dimension wahnsinniger. Es gibt eine Fläche mit der Grösse eines Fussballfelds voller Wohnwagen. Ohne Hilfe hätte ich meinen Wohnwagen in diesem riesigen Wohnwagen-Labyrinth nie gefunden (lacht). In Europa sind zum Beispiel die schwarzen Sonnenschutzabdeckungen 2mx2m gross und werden auf rollende Fotostative montiert. Dann komme ich bei Shawn Levy auf das Filmset und die fahren dort mit fünf oder sechs Caterpillar mit 15mx15m grossen Sonnenschutzabdeckungen rum! Man kann sich das kaum vorstellen! 

Der helle Wahnsinn! Ist der Druck bei so einer Riesenproduktion grösser?
Ja, der Druck ist schon riesig. Besonders beim ersten Mal. Ich habe von Hollywood geträumt, seit ich sechs war. Ich bin so glückselig, dass mein Kindheitstraum Realität wurde, und es ist mir eigentlich recht egal, ob es nach dieser Produktion jetzt in Hollywood weiter geht oder nicht. Es ist enorm wichtig, dass du im Moment lebst und diesen bewusst geniesst!

Bild von Pascal Ulli

Du produzierst ja auch selbst, wie kam es dazu?
Naja, am Anfang hat ja niemand auf mich gewartet, also habe ich mein erstes Theaterstück produziert und mir selber eine Rolle darin gegeben. Ich wurde also Produzent, damit ich als Schauspieler arbeiten konnte. Auch wenn du einen Oscar gewinnst, heisst das noch lange nicht, dass dann das Telefon für immer klingelt und dir die besten Rollen angeboten werden. Wenn du genau hinschaust, produzieren die erfolgreichsten Schauspieler*innen ihre Filme selbst. Filme sind aber halt wahnsinnig teuer, darum habe ich mit dem Produzieren von Theaterstücken angefangen. Theaterstücke sind zudem viel schneller realisierbar und du kannst als Produzent in der Schweiz damit eigentlich auch mehr Geld verdienen als mit Filmen, weil die Eintrittspreise im Theater deutlich höher sind als ein Kinoticket, und weil du als Produzent beim Theater einen höheren Prozentsatz am Gewinn bekommst.

Die Corona-Pandemie hast du in dem Fall gut genutzt. Hattest du nie Sorgen, weil die ganze Kultur auf Eis lag?
Sicher, habe ich kein Geld verdient, weil niemand ins Theater gehen konnte. Aber ich bin nicht jemand der rumjammert, sondern konzentriere mich dann auf Dinge, die ich machen kann. So habe ich das Buch geschrieben und eine neue Firma gegründet. Einfach das Positive sehen. Während der Pandemie habe ich trotzdem meine erste Netflix-Serie gedreht. Und vielleicht auch dank Corona wurde mehr auf Zoom-Castings gesetzt und so bekam ich die Chance für die Serie von Shawn Levy. Deswegen ist der Mindset so wichtig!

Bild von Pascal Ulli auf dem Filmset von NETFLIXs UNDERCOVER

Was fasziniert dich an deinen Berufen?
Ich komme mit spannenden Menschen für eine gewisse Zeit, also während der Dreharbeiten oder den Theaterproben, sehr eng und nah zusammen. Es bildet sich dann so etwas wie eine Film- oder Theaterfamilie auf Zeit. Und wenn du dann mit deiner «neuen» Familie auch noch etwas Sinnvolles produzieren und das Publikum sowohl unterhalten als auch zum Denken anregen kannst, dann gibt es für mich nichts Schöneres. Da ich aber auch sehr gerne zuhause bei meiner Frau – und zufällig der wunderbarsten Frau der Welt – bin, ist es aber dann auch schön, wenn jeder wieder seine eigenen Wege geht.

Wie ist es mittlerweile für dich, wenn du dich auf Grossleinwand oder im Fernsehen siehst?
Horror! Es ist immer noch der gleiche Horror wie am Anfang. Das ist, wie wenn du dich zum ersten Mal auf Tonband hörst. Einfach Katastrophe. Klar, habe ich mich mittlerweile auch daran gewöhnt und ich kann sogar als Zuschauer Filme geniessen, obwohl ich in diesen mitspiele. Für mich ist es auch schwierig, mich zu sehen, weil ich sehr hohe Ansprüche an mich selbst habe. Ich halte das eigentlich nur aus, weil ich eine Verbesserung meiner Arbeit sehen kann. Also wenn ich Filme mit mir von vor 20 Jahren anschaue und solche vom letzten Jahr, kann ich doch eine Verfeinerung meiner Schauspielkunst erkennen, nur deswegen kann ich damit leben. Recht früh habe ich auch gemerkt, dass diese hohe Erwartungshaltung an mich selbst, ungesund ist. Für jedes Projekt nehme ich mir deshalb jeweils nur eine Aufgabe vor, die ich erfüllen will. Bei meiner ersten, grossen, deutschen Kinohauptrolle vor 20 Jahren wollte ich einfach so gut hochdeutsch sprechen, dass kein deutscher Journalist schreibt, wieso habt ihr einem Schweizer die Hauptrolle gegeben und keinem Deutschen. Als dies nicht geschah, war meine Arbeit bei diesem Film für mich erfüllt, obwohl es ganz viele Szenen gab, in denen ich mit mir selbst nicht 100% zufrieden war. Bei meinem ersten Hollywood-Dreh vor vier Wochen, wollte ich einfach keinen Blackout haben vor lauter Druck…und das hat zum Glück auch geklappt (lacht).

Bild von Pascal Ulli auf der Bühne im Stück

Bilder: René Tanner, Elena Zaucke

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