Interview mit Stefan Mann

Stefan Mann (54) aus Weiern ist Leiter der Forschungsgruppe Sozioökonomie bei Agroscope. Bei seinem Vortrag über sein Buch «Postletale Landwirtschaft» bei Animal Rights Switzerland haben sich mir so viele Fragen aufgetan, dass ich ihn um ein Interview gebeten habe. Darin erzählt er, wieso er optimistisch in die Zukunft schaut, wie sein Arbeitgeber auf sein Buch reagiert hat und was jeder konkret für eine Verbesserung unserer umweltlichen Situation tun kann.

Bild von Stefan Mann

Was macht Agroscope?
Agroscope ist das Kompetenzzentrum des Bundes für die Forschung im Bereich der Land- und Ernährungswirtschaft. Damit trägt die Einrichtung zu einer umweltfreundlicheren und wirtschaftlicheren Produktion und zu einer gesünderen Ernährung bei.

Was ist Ihre genaue Tätigkeit bei Agroscope?
Ich leite eine Forschungsgruppe, die sich vor allem mit der sozialen Dimension der Landwirtschaft auseinandersetzt. Das schliesst Fragen des Umgangs mit dem Wolf, der solidarischen Landwirtschaft oder der Arbeitsbelastung ein. Ich selbst habe dabei das Thema des Umgangs mit «Nutztieren» für mich entdeckt, zu dem ich publiziere.

Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich bin Quäker, also Mitglied einer Friedenskirche, und habe irgendwann festgestellt, dass ich meine agrarökonomische Arbeit interessanter mache, wenn ich sie für unseren nicht wirklich sehr friedlichen Umgang mit Hühnern, Rindern und anderen Tierarten einsetze. Die Resonanz, die ich dabei erfahren habe, hat mich ermutigt, die Thematik immer weiter zu vertiefen.

Bild von Stefan Mann

Weshalb fällt es so schwer landwirtschaftliche Veränderungen in Gang zu bringen, obwohl alle wissen, dass man längst hätte handeln müssen?
Das ist ja kein spezifisches Agrarphänomen, sondern lässt sich auch auf Bereiche wie Energieversorgung und Verkehr anwenden. Natürlich hängen wir alle an unserem bequemen Leben. Und wenn Einzelne sich entscheiden, anders zu leben, ändert sich das Gesamtproblem kaum spürbar. Leider bleibt dann Vieles, wie es ist.

Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf, dass eine grosse Umweltkatastrophe abgewandt werden kann? Oder ist es eh schon zu spät?
Ich finde Alarmismus fast so schädlich wie Nichtstun. Natürlich ist ein schonender Umgang mit Ressourcen wichtig. Aber wir dürfen auch den Lebenswillen und die Anpassungsfähigkeit von uns Menschen nicht unterschätzen.

Was kann jedes Individuum konkret für die Umwelt tun?
Möglichst sparsam mit den Ressourcen umgehen. Das bedeutet konkret: die Kilometer pro Jahr, die Raumtemperatur und den Anteil tierischer Lebensmittel reduzieren. Und nur das kaufen, was es wirklich braucht.

Wie kann der Veränderungsprozess schneller in Gang gesetzt wird?
Der Veränderungsprozess hat doch schon längst begonnen. In jeder nennenswerten Stadt gibt es mittlerweile vegane Restaurants. Meine Eltern mussten sich nie mit der Frage nach dem Konsum tierischer Lebensmittel auseinandersetzen, meinen Kindern dagegen drängt sie sich geradezu auf.

Bild von Stefan Mann

Ihr Buch «Postletale Landwirtschaft» beschreibt drei Arten von Landwirtschaft, bei der keine Tiere mehr geschlachtet werden. Wie kam dies bei Ihrem Arbeitgeber an?
Natürlich ist das keine ganz einfache Konstellation, denn Agroscope ist ja auch das Kompetenzzentrum der Tierproduktion. Unser CEO hat mich gebeten, immer darauf hinzuweisen, dass ich meine persönliche Position vertrete, nicht die von Agroscope. Und so funktioniert es.

Wieso ist eine postletale Landwirtschaft der richtige Weg?
«Richtig» ist ein grosses Wort. Aber das Töten fühlender Lebewesen passt doch wahrscheinlich immer weniger in die sonstige Wertelandschaft, in der wir uns bewegen. Und ökologisch wäre die postletale Landwirtschaft dem heutigen System weit überlegen.

Welche Anreize können vom Bund gemacht werden, damit dies schneller umgesetzt wird?
Dass das Bundesamt für Landwirtschaft festgestellt hat, dass wir auch bei den Konsumgewohnheiten der Verbraucher ansetzen müssen, ist schon ein wichtiger Schritt. Und jetzt geht es darum, dass die negativen ökologischen Effekte tierischer Lebensmittel auf irgendeine Weise eingepreist werden. Das kann bereits beim Fleisch- und Futtermittelimport, oder auch durch eine Fleischsteuer erfolgen.

Bild des Buches «Postletale Landwirtschaft»  von Stefan Mann

Was denken Sie muss noch geschehen, dass endlich gehandelt wird?
Wir selbst müssen die richtigen Entscheidungen treffen, und zwar im Detailhandel genauso wie auf dem Wahlzettel.

Werden wir und insbesondere die Natur, so wie wir sie kennen und lieben, auch eine Chance haben, wenn der Veränderungsprozess auf allen Ebenen in diesem langsamen Tempo weitergeht (kann sie sich erholen oder werden wir (die nächsten Generationen) damit leben müssen, dass es keine Gletscher oder noch weniger Tierarten etc. gibt)?
Ich halte es für wahrscheinlich, dass Ihre Kinder bzw. meine Enkel keine Gletscher mehr sehen werden, und dass sie mit weniger Tierarten in Berührung kommen werden als wir. Aber dafür werden sie wahrscheinlich auch wieder Möglichkeiten haben, die wir nicht haben. So wie wir schon heute jederzeit mit Kollegen in Übersee kommunizieren können, was die Generationen vor uns nicht konnten.

Wo sehen Sie die grössten Hindernisse, die einer Veränderung im Weg stehen?
Im Ernährungsbereich müssen wir natürlich jahrtausendealte Kulturen überwinden. Der Grillabend oder das gemeinsame Fondue sind ja Institutionen, die vielen Menschen wichtig sind. Daher glaube ich, dass den Ersatzprodukten eine wichtige Funktion zukommt.

Schauen Sie optimistisch in die Zukunft?
Auf jeden Fall. Ich finde, es ist auch immer wieder wichtig, dass wir uns bewusst machen: so gut wie heute ging es der Menschheit noch nie. Diese Spezies richtet zwar viel Unheil an, aber hat sich bisher immer mehr Lebenskomfort geschaffen. Und dass dafür keine Tiere getötet werden müssen, werden wir auch noch verstehen.

Bild von Stefan Mann

Bilder: Stefan Mann

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