Stella Kizildag (30) aus Wallisellen steht als Plus Size Model 100% zu ihren Kurven. Ob dies schon immer so war, was sie am Modeln liebt und wie sie mit Bodyshaming umgeht, verrät Stella mir im Interview.
Hast du dir als Kind erträumt, Model zu werden?
Nein, grundsätzlich bin ich mit dem Magerwahn in den Medien und Top Models wie Kate Moss, Naomi Campbell oder Heidi Klum aufgewachsen. Da war mir schon in der Kindheit bewusst, dass ich NIE ein Model werden könnte. Aber hatte mich gefragt, wieso nur eine Art Frau «schön» sein kann? Ich dachte mir, nur weil ich nicht diesen Idealen entspreche, bin ich jetzt nicht schön und intelligent genug? Wieso darf ich mich nicht so schön anziehen, wie die anderen und wieso habe ich so Mühe passende Kleidung zu finden, in der ich mich wohl und nicht übermässig dick fühle? Doch plötzlich gab es einen Wendepunkt als Ashley Graham als erstes Curvy Model auf das Cover der Sports Illustrated kam.
Wann wurde dir bewusst, dass du ins Modelgeschäft einsteigen willst?
Ich habe mit meiner Mama immer zusammen beim Übergrössenladen «Ulla Popken» am Stauffacher in Zürich geshoppt. Und eines Tages hatten sie für ihre Kunden ein Shooting im Store organisiert, da hatten wir natürlich aus Spass mitgemacht. Als die Fotoassistentin meine Bilder durchgeschaut hatte, meinte sie, dass ich es mir echt mal überlegen sollte, ins Modelbusiness einzusteigen. Dabei gab sie mir Tipps, auf was ich achten sollte. Ich merkte, so schwierig ist das ja gar nicht! In derselben Nacht habe ich Modelagenturen in der Schweiz gegoogelt und mich mit den Bildern beworben. Nach vielen Absagen wurde ich tatsächlich einige Monate später bei einer Agentur aufgenommen! Ich durfte direkt in Unterwäsche in der St. Galler Marktgasse an einer kleineren Modenschau mitlaufen und hatte dann meinen ersten grossen Modeljob für den Jelmoli-Versand mit Christa Rigozzi zusammen.
Dann kam Corona und weil ich damals als Eventmanagerin im Kino tätig war, befand ich mich in der Kurzarbeit. Auf Social Media gab es eine Anzeige, sich für die dritten Staffel von «Switzerland’s Next Topmodel» hosted by Manuela Frey zu bewerben. Aus reiner Langeweile hatte ich mich dann einfach beworben. Hier gehts zur Folge. Seither wollte ich dafür kämpfen, dass es keine Schönheitsideale mehr gibt, sondern JEDE Frau in all ihren Farben, Formen, «Makeln» wunderschön ist und Schönheit weit mehr als das Äussere ist!
Was waren die Reaktionen potentieller Arbeitgeber?
Ich hatte es lange versteckt, dass ich mich als Model versuchen wollte. Nur meine beste Freundin, die mich immer ermutigte, wusste Bescheid und ich hatte ebenfalls einen zweiten Instagram-Account eröffnet für die Modelbilder. Als ich dann aber Kandidatin bei Switzerland’s Next Topmodel wurde, musste ich es meiner damaligen Chefin erzählen. Da wir aber ohnehin auf Kurzarbeit waren, kam es gerade recht, als ich einige Wochen Ferien nahm.
Später als ich nach einer neuen Herausforderung suchte, erwähnte ich erst jeweils beim zweiten Vorstellungsgespräch, dass ich nebenher als Hobby modle. Dazu gab es aber nie Reaktionen, die Jobs hatte ich jedoch schlussendlich auch nicht bekommen. Erst bei meinem jetzigen Arbeitgeber stiess ich auf Euphorie und sie unterstützen mich bis heute sehr stark. Sie erkannten, dass sich durch meine Anstellung als Marketing Managerin auch Synergien für das Geschäft ergeben können und dies kein Nachteil ist. Auch meine Arbeitskollegen kommen in den Pausen auf mich zu, wenn sie mich in einer Werbung gesehen haben oder teilen mir ihre Ideen zu aktuellen Themen für meine Kolumne auf Nau.ch mit.
Ich kann mich wirklich sehr glücklich schätzen und muss auch zugeben: Wenn mich meine beste Freundin nicht von Anfang an ermutigt, und mein Umfeld später mich nicht unterstützt hätte – hätte ich schon an Tag 1 aufgegeben.
Wie hat sich das im Verlauf der Jahre geändert, insbesondere, seit es Plus Size Model tatsächlich auch in der Werbung und auf dem Laufsteg gibt?
Wie bei jedem Trend, gab es einen hohen Peak. Es gab in Läden und Online-Shops Plus Size Abteilungen (deren Kleider meiner Meinung nach so umschmeichelnd waren wie Tischtücher), Diversity in Werbekampagnen, Curvy Models auf Laufstegen und sogar bei Victoria’s Secret, sowie mehr Influencer, die für Body Positivity eingestanden sind. Ja, sogar bei Beldona und Nike sah man breitere Puppen in den Schaufenstern!
Jedoch wurde schnell klar, dass viele Firmen das nur umgesetzt haben, um mit dem Trend mitzugehen und sich einen hören Umsatz erhofften. Auch Designer zeigten zwar Curvy Models auf den Laufstegen, aber die Kleidungsstücke gab es nie zu kaufen, sondern wurden nur für die Show gemacht. Langfristig wurde das nicht in der Strategie verankert und meiner Meinung nach, haben die Leute auch viel zu viel darüber geredet, dass es schon genervt hat. Wie Green Washing nenne ich das jeweils «Diversity Washing» – viel Gerede aber nichts dahinter. Diversity soll meiner Meinung nach nicht gross ausgeschildert, sondern einfach zur Normalität werden. Man soll nicht nur grosse und schlanke Frauen in Werbekampagnen sehen, sondern JEDER soll sich schöne sowie trendige Kleidung kaufen können. Nur schon, dass man Menschen oder Models in Kategorien einteilt wie Mid-Size, Curvy, Petite, Age etc.
Zudem fand ich es nie in Ordnung, dass immer extreme Körper gezeigt wurden und das dann als Diversity galt. Oder unrealistische Körperbilder mit flachem Bauch, grosser Po und grossen Busen – was meist nur mit vorhandenen Genen oder Operationen möglich ist. Meiner Meinung nach sollten keine zu dünnen Frauen gezeigt werden, die als Heroin Chic durchgehen, wie auch keine zu dicken Körper, welche schlicht und weg ungesund überwichtig sind. Das perfekte Beispiel, wie man es machen sollte, ist DOVE. Seit Jahren zeigen sie eine Vielzahl von Frauen, welche nicht vollends retuschiert sind. Aktuell schreibe ich meine Bachelorarbeit und befasse mich mit dem Thema, wie Body Positivity das Kaufverhalten beeinflusst. Genau diese Punkte wurden immer von anderen Frauen genannt.
Über welches Kompliment hast du dich am meisten gefreut?
Schon als ich klein war, hörte ich immer: Du hast ein schönes Gesicht, OBWOHL du mehr Gewicht auf die Waage bringst. Wieso musste immer das «OBWOHL» oder «ABER» kommen, wieso muss man ein Kompliment an eine Bedingung binden? Das fühlte sich immer so an, dass es nichts Schönes an mir gibt, weil ich dicker bin als andere… Noch nicht mal meine inneren Werte zählten.
Daher kann ich mich noch sehr gut an den folgenden Moment erinnern: Als ich meine allererste kleine Modenschau in der St. Galler Marktgasse laufen durfte, bekam ich direkt Unterwäsche zum Vorführen. Ich hatte grosse Angst vor den Reaktionen der Zuschauer. Aber als ich raustrat, empfing mich Applaus und Leute riefen mir zu, wie toll sie es finden, dass ich mich so gezeigt habe. Ich dachte, ich erlebe Bodyshaming, aber tatsächlich wurde ich ermutigt, da sich die Zuschauer verstanden fühlten und sich endlich mal identifizieren konnten.
Wie gehst du mit negativen Kommentaren und Bodyshaming um?
Was viele nicht erwarten würden, ich erlebe keinerlei Bodyshaming. Im Gegenteil ermutigen mich die Leute sogar dazu, dass ich mich mehr zeigen sollte. Das meiste Bodyshaming erlebe ich nur in der Modelwelt, wo man viel damit konfrontiert wird, dass der Körper nicht den Vorstellungen für einen bestimmten Job entspricht – damit kämpfen aber immer alle Models!
Und wenn mal tatsächlich ein Kommentar kommt, kann ich das nie ernst nehmen. Ich bin so viel mehr als nur mein Körper oder Äusseres, mich macht so viel mehr aus! Und ich denke, dass ich mir das immer sage, dass ich mehr Wert bin, als nur mein Körper, das hilft mir.
Was mich immer am meisten nervt, sind die Vorurteile, dass dickere Menschen, automatisch als ungesund und dick eingestuft werden. Da kommt auch wieder das «Pretty Privilege» ins Spiel. Ich habe Hunde und gehe viel spazieren, ich trainiere im Gym, tanze in meiner Freizeit und habe eine Ausbildung zur diplomierten Ernährungscoach. Ich weiss also, wie man gesund lebt. Zum grossen Teil machen mir meine Gene einen Strich durch die Rechnung. Genauso, wie es bei dünnen Frauen ist: Sie wollen oftmals zunehmen und fülliger sein, was aber auch sehr schwer hinzukriegen ist. Und nur weil ein Mensch dünn ist, kann man doch nicht darauf schliessen, dass er automatisch gesund ist.
Was ist deine Botschaft?
Meine wichtigste Botschaft ist, dass unser Wert nicht von unserer Kleidergrösse abhängt – egal ob wir kurvig, schlank, klein oder irgendetwas dazwischen sind. Ich habe über die Jahre gemerkt: Viele schlanke Menschen kämpfen mit denselben Unsicherheiten wie kurvige. Nur weil jemand dünn ist, heisst das nicht automatisch, dass er zufrieden ist. Manche wünschen sich sogar, etwas fülliger zu sein oder fühlen sich ständig unter Druck, ihr Gewicht zu halten.
Am Ende verbindet uns viel mehr, als uns trennt. Wir alle wollen uns in unserer Haut wohlfühlen, respektiert werden und frei von Erwartungen leben, die nicht unsere eigenen sind.
Da kommt die Selbstliebe ins Spiel, sich selbst den gleichen Respekt und die gleiche Geduld zu schenken, die man anderen gibt. Ich möchte Menschen ermutigen, ihren Körper als Teil ihrer Geschichte zu sehen – nicht als etwas, das sie erst «richtig» machen müssen. Diversität ist real, und jeder Körper verdient Wertschätzung. Wenn wir das Verstehen, werden wir uns auch nicht mehr miteinander vergleichen.
Wieso ist deiner Meinung nach heutzutage das Gewicht immer noch so ein grosses Thema wie früher?
Leider tragen wir gesellschaftliche Muster oft viel länger mit uns herum, als wir denken. Weil wir unsere Einstellungen ja auch immer der nächsten Generation weitergeben, wenn wir unsere Einstellung nicht ändern. Gewicht ist nach wie vor ein grosses Thema, weil es historisch mit Wert und Disziplin verknüpft wurde, also den «Pretty Privilege». Diese alten Glaubenssätze sitzen tief.
Gleichzeitig leben wir in einer Zeit, in der wir permanent Bilder perfekt inszenierter Körper sehen auf Social Media: gefiltert, retuschiert oder aus hunderten Bildern ausgewählt. Das schafft unrealistische Ideale und verstärkt den Druck. Auch wenn wir das alles wissen, ist es auch für mich teilweise schwer, mich nicht mit anderen vergleichen zu wollen.
Obwohl Body-Positivity und Diversität sichtbarer geworden sind, braucht es Zeit, bis sich diese Veränderungen im Denken der Menschen festigen. Wir sind mitten in einem kulturellen Wandel: Immer mehr Körper werden repräsentiert, aber die alten Schönheitsnormen schwingen noch mit. So wie es jetzt gerade der Fall ist und der «Heroin Chic» zurück auf die Laufstege kommen und die Zahl der Curvy Models ins Bodenlose sackt.
Darum ist Aufklärung, Sichtbarkeit und Authentizität so wichtig. Je mehr unterschiedliche Körper wir sehen, desto normaler wird Vielfalt – und desto kleiner wird irgendwann das Thema Gewicht.
Was findest du schön?
Selbstbewusstsein! Es sind wirklich die inneren Werte die zählen. Mir ist oft aufgefallen, dass eine Person von aussen den Schönheitsidealen entspricht, aber keinerlei Ausstrahlung hat. Wenn man aber mit sich im Reinen ist und ein gesundes Selbstbewusstsein erlangt hat, strahlt man das extrem stark aus, was auch sehr anziehend wirkt. Das finde ich wirklich am schönsten. Denn Schönheit vergeht, wie man so sagt, aber die Energie, die man ausstrahlt, die bleibt in allen Jahren und macht meiner Meinung nach einen Menschen erst WUNDERSCHÖN.
Was rätst du angehenden Models?
Es ist ganz wichtig zu wissen: Ihr werdet zu 99% immer scheitern und absagen bekommen. Das Modelbusiness besteht aus reiner Ablehnung – seid ihr bereit damit umzugehen? Denkt auch dran für euch herauszufinden, was euch sonst noch erfüllt. Es werden harte Zeiten auf euch zukommen und hierzu ist es wichtig zu wissen, was euch sonst noch ausmacht ausser dem Traum ein Model zu sein. So verliert ihr euch nicht selbst. Es mag zwar glamourös klingen, aber ein Model zu sein, ist alles andere als das. Ausserdem gilt es immer dranzubleiben. Vielleicht ist jetzt gerade nicht eure Zeit, aber die Zeit wird kommen und wenn ihr dann nicht auf dem Markt seid, vergeht die Chance. Nutzt diese Zeit, um zu üben, neue Beziehungen zu knüpfen und dranzubleiben, sodass ihr für den grossen Moment bereit seid! Denn Erfolg besteht auch zu grossen Teilen aus Glück, gutem Timing und gute Beziehungen.
Bilder: Samira Lucia Mercurio, Jelmoli, Ellin Anderegg, snipesphotograpy, Raheem, Stella Kizildag
