Interview mit Lauren Wildbolz

Die vegane Spitzenköchen Lauren Wildbolz (39) verwöhnt ihre Gäste in ihrem Restaurant Maison Raison. Sie versprüht so eine Freude, wenn sie über die Vielfalt der veganen Küche spricht, dass ich zuhause gleich ihr Rührtofu-Rezept ausprobieren musste. Im Interview berichtet sie, wie sie zur veganen Küche kam, über welche Komplimente ihrer Gäste sie sich am meisten freut und was es mit den molekularen Lebensmitteln auf sich hat.

Bild von Lauren Wildbolz

Wolltest du schon immer Köchin werden?
Lustigerweise kam mit 16 bei der Berufsberatung heraus, dass ich Köchen werden sollte. Ich wollte aber an die Kunstschule. Am Ende bin ich als Köchin in der Kunstschule gelandet. 

Wie bist du zum Kochen gekommen?
Mit 14 wurde ich Vegetarierin und mit 23 habe ich das Buch «Futter fürs Volk» gelesen. Dadurch habe ich mich sehr mit den Lebensmitteln und der Nahrungsindustrie auseinandergesetzt. Ich habe dann begonnen nur noch auf dem Markt Bio einzukaufen, habe mich mit den Bauern unterhalten und habe mir ihre Felder angeschaut. Zudem interessierte ich mich sehr für eine vollwertige Ernährung, bei einer Bio Karotte musst du die Schale zum Beispiel nicht entfernen. Veganerin wurde ich dann mit 27, habe aber schon vorher als vegetarische Köchin gearbeitet. Meine ersten Jobs als Köchin bekam ich auf Schiffsküchen. Ich habe aber nie eine Kochlehre gemacht, weil diese nach wie vor mit Fleisch und Fisch ist. Ethisch bin ich davon überzogen, dass es nicht gut für mich wäre, nur aufgrund der Lehre Fleisch und Fisch zuzubereiten. Vor zwölf Jahren habe ich im Kreis 4 das erste vegane Restaurant der Schweiz eröffnet. Weil die Restaurantführung meine ganze Zeit in Anspruch nahm, hatte ich einen veganen Koch eingestellt, von dem ich auch sehr viel lernen konnte. Man lernt ja nie aus, heute bekomme ich viel Inputs von meinem Catering-Chefkoch.

Hast du auch im Ausland Kocherfahrungen gesammelt?
Ja, in Japan habe ich viel über die makrobiotische Küche und die vegane Patisserie gelernt. Die Japaner sind da sehr weit. Natürlich die buddhistische Klosterküche. Früher bin ich in Asien sehr viel gereist. Seit zwölf Jahren bin ich aber nicht mehr so der Traveller, weil man meiner Meinung nach als Veganerin nicht mehr fliegen sollte. Meine grösste Sünde war meine Japanreise vor eineinhalb Jahren. Seither bin ich aber nicht mehr geflogen. Mir ist eine vegane Lebensweise sehr wichtig. Wenn ich neue Schuhe brauche, kaufe ich vegane. Ich gehe sehr gerne auf den Flohmarkt und hauche gebrauchten Kleidern noch einmal Wertschätzung ein.

Bild von Lauren Wildbolz

Die vegane Lebensweise kann auch überfordern, weil man auf alles achten muss. Was ist dein Tipp?
Ich rate Menschen, die den veganen Lebensweg einschlagen wollen, was man im Buddhismus sagt: «Not to tight and not to low – the middle way». Wenn du sofort ins Extreme gehst, ich nenne das auch die erste Jahr Veganerkrankheit, dann nervst du alle damit. Nach einem Jahr legt sich dann das wieder und man bevormundet die Leute nicht mehr so. Wenn man eine gewisse Lockerheit und Entspanntheit damit verbindet, kann man diese Lebensweise auch verinnerlichen. Man kauft dann automatisch nur noch vegane Nahrungsmittel und das Bewusstsein ist so auf die Dinge geschärft, die einem wichtig sind, dass es auch nicht mehr so überfordert.   

Welche Funktionen übernimmst du im Maison Raison?
Ich bin mehr die Unternehmerin, der Inspirationskopf und stehe im Maison Raison nicht mehr so viel in der Küche. Die Rezepte kreiere ich und setze sie mit Hilfe des Maison Rasion Chefkoch Ivan um. Die täglich wechselnden Lunchmenüs kreiert aber Ivan. Für die Erweiterung der Menükarte werde ich selbst auch wieder in der Kochjacke in der Küche stehen. Auch das ganze Servicepersonal muss dann geschult werden, damit sie die Gäste optimal bei der Menüauswahl beraten können. 

Vermisst du es nicht, die ganze Zeit zu kochen?
Ich mag die Vielfältigkeit. Nur in der Restaurantküche zu stehen, wäre mir zu monoton. Dennoch bin ich oft in der Küche, sei es an Dinner-Events oder alle zwei Monate in meinem Kochkurs. Ich habe die romantische Idee, wenn ich 100 bin, auf dem Land ein Restaurant zu haben mit zwölf Plätzen.

Bild von Lauren Wildbolz

Was ist dein Lieblingsessen?
Das werde ich noch viel gefragt. Ich bin im Himmel mit superschonend gedämpftem, saisonalen Bio Gemüse, dass noch Biss hat. Dazu ein bisschen Olivenöl, Salz und ein paar Spritzer Zitrone. Ein wenig delikater wäre noch ein frisches Kraut als Topping oder Dulse Alge.

Welches war das schönste Kompliment, dass du für dein Essen bekommen hast?
Das ist eine schöne Frage! Mir geht immer das Herz auf, wenn ein Gast sagt, dass es sehr fein war. Dann bin ich erfüllt. Am meisten freue ich mich, wenn ein Fleischesser Freude hat. Beim Gericht Meseki mit 16 Schälchen, gibt es welche mit Dinkel-Seitan oder geräuchertem Tempeh. Wenn sie danach sagen, das Fleisch hat ihnen nicht gefehlt, bin ich überwältigt. Mein Ziel mit Maison Raison ist es, ein Restaurant für Fleischesser zu werden, dass sie so Lust auf die pflanzliche Küche bekommen.

Was hat es mit dem Umami Geschmacksrichtung auf sich?
Umami bedeutet Röstaromen. Die kann man auch bei geröstetem Gemüse herstellen. Wenn alle Geschmackssinne – süss, bitter, sauer, salzig, scharf und umami – abgedeckt sind, hast du vielleicht nicht mal mehr das Verlangen nach einem Dessert.

Was hältst du vom neuen Trend von herzhaften Glaces?
Es muss stimmig sein und nicht nur weil es gerade in ist. Ich habe eine Glace kreiert aus Nüsslisalat, Birne und Vanille. Als Zwischengang finde ich ein Gemüsesorbet schon interessant. Im Volksmund sagt man, weil es das Völlegefühl reduziert und die Verdauung fördert. Dies ist aber ein Trugschluss, weil es die Magenwände lähmt und man sich somit weniger voll fühlt.

Bild von Lauren Wildbolz

Wo lässt du dich für deine Gerichte inspirieren?
Das ist sehr verschieden. Manchmal ist es auch ein Veganisieren. Man kann die meisten Rezepte veganisieren, indem du die Zutaten austauschst. Anstatt Milch nimmst du Sojamilch oder du ersetzt Butter mit Rapsöl. Ich koche seit zwölf Jahren vegan und für mich ist es sehr einfach. Auch beim Backen oder der Patisserie interessiert es mich, auch wenn ich darin nicht super stark bin. Ich will wissen, ob die vegane Version funktioniert. Wenn es klappt, wandle ich das Rezept nochmals ab und mach es innovativer.

Die asiatische Tempelküche hat mich sehr inspiriert, wo dieser vegetarische, gewaltfreie Lebensstil herkommt. Sie experimentierten schon vor 2000 Jahren mit Tofu, Seitan und Tempeh. Von diesem traditionellen, alten Wissen probiere ich hier in der Schweiz mit einer Opulenz, was im buddhistischen Kloster ja überhaupt nicht der Fall ist, den Menschen aufzuzeigen, was sie alles essen können. Es ist mir wichtig auch bei Maison Raison, die Vielfalt zu zeigen, deswegen stehen zum Beispiel auch drei verschiedene, pflanzliche Milche zur Auswahl. Sobald es die molekulare Bio Milch gibt, werden wir die auch im Angebot haben und dann merkst du keinen Unterschied mehr zur Kuhmilch. Sie wird die Welt verändern!

Wie werden diese molekularen Produkte hergestellt?
Den Unterschied zwischen Labor und Molekular muss man verstehen. Das eine ist das Fleisch aus dem Labor. Diese Wissenschaft dauert noch acht bis zehn Jahre. Die molekulare Bewegung ist schon extrem weit. Eigentlich ist fermentieren schon molekular. Molekular ist auch ein bisschen Alchemie, durch das Mischen von verschiedenen Zutaten gibt es eine andere Reaktion. Der grosse Unterschied ist, dass du molekular biologisch herstellen kannst und nicht wie im Labor nur chemisch.

Ist dann dieses Fleisch aus dem Labor vegan?
Vegane Wissenschaftler in Amerika haben dies zum Ziel. Sobald die Zelle, aus der das Fleisch hergestellt wird, nicht mehr tierischen Ursprungs ist. Den vorletzten Stand denn ich kenne, ist, dass sie immer noch mit einer Nadel aus der schwangeren Kuh eine Zelle des Fötus entnehmen müssen. Die traurige Folge ist, dass der Fötus dann stirbt. Aus dieser Zelle kann dann eine Menge an Fleisch wachsen. Wenn alles künstlich im Labor hergestellt wird, ist es Gentechnik und dies ist in der Schweiz verboten.

Bild von Lauren Wildbolz

Beim Brunch Talk von Vier Pfoten hast du von einer Studie aus dem Silicon Valley erzählt, kannst du sie genauer erläutern?
Du meinst die Food and Agriculture Studie von RethinkX, ein Researchcenter im Silicon Vally. In der prognostizieren sie, dass wir in den nächsten zehn Jahren den tierischen Lebensmittelkonsum um 50% reduzieren werden. Bei gewissen Ländern geht es vielleicht nur acht Jahre, bei anderen 15. Spannend ist, dass sich nicht der Konsument entscheidet, mehr vegane Produkte zu kaufen. Es wird die Lebensmittelindustrie sein, die die Produkte verändert. Pflanzliche Lebensmittel sind viel länger haltbar. Du hast keine Probleme mit Salmonellen oder anderen bakteriellen Verunreinigungen. Die Lebensmittelindustrie wird höchst interessiert an einer molekularen Milch und einem molekularen Ei sein. Wenn die Produzenten schaffen, dass die molekulare Milch günstiger ist, als die Kuhmilch, dann kommt die Veränderung sofort. Darauf warte ich!

Man hört ja oft, dass Veganer genügend Eiweiss zu sich nehmen müssen, stimmt das?  
Das ist extrem überholt, dass wir Menschen zu wenig Eiweiss einnehmen. Früher hiess es in Amerika «get your protein» jetzt heisst es «get your carbs». In der pflanzenbasierten Ernährung hast du viele Eiweissquellen, die Beste ist die Sojabohne. Wir pflanzen sogar in der Schweiz schon Soja an. Damit das pflanzliche Eiweiss bioverfügbar ist, müssen wir dazu Getreide essen, sonst können wir sie nicht aufnehmen. Man hat aber herausgefunden, dass man dies innerhalb eines Tages und nicht in der gleichen Mahlzeit essen muss. Du kannst am Morgen ein Porridge essen, zu Mittag ein Salat und Tofuplätzchen und hast trotzdem die kluge Kombination. Weil du am Morgen den Porridge gegessen hast, kann du das Eiweiss des Tofus aufnehmen.

Gehst du gerne auswärts essen oder kochst du lieber alles selbst?
Ich muss schon sagen, dass ich mich in teils Restaurants manchmal nicht sehr wohl oder wohlgenährt fühle. Ich spüre, wenn keine Liebe in der Küche ist. Ich bin doch öfters in Restaurant und auch nicht kompliziert, obwohl ich Veganerin bin. Ich würde nie Fleisch essen, aber wenn es nichts hat ausser einer Suppe, der vielleicht ein wenig Rahm beigemischt wurde, dann nehme ich sie trotzdem. Ich finde es auch nicht eine Frechheit, wenn es im Restaurant keine veganen Gerichte hat, wenn ich mich mit Freunden treffe. In meinem Restaurant gehe ich wenig privat essen, aber wenn inkognito und das Servicepersonal darf dann nicht in der Küche sagen, dass ich der Gast bin. Mir fallen dann immer wieder Dinge auf, weil ich eine Perfektionistin bin. Zuhause koche ich sicher immer frisch, wenn meine Tochter bei mir ist. Seit Corona habe ich ein Gemüseabo von Bio Birchhof und bin super happy.

Bild von Lauren Wildbolz

Es gibt ja doch viele Menschen, denen es entweder egal ist, was sie essen oder einfach das Bewusstsein über die Ernährung fehlt. Wie kann man sie am besten informieren?
Mit Inspiration und ein gutes Vorbild vorleben. Bekehren bringt gar nichts. Wenn du Freunde zum Essen einlädst, zeige die breite, feine vegane Küche. Wenn bei einem Fest jeder etwas mitbringt, bringe ein mega cooles veganes Gericht, dass das Interesse der anderen weckt. Dies kann man im kleinen, einzelnen Rahmen machen und mit viel Freude die Menschen inspirieren.

Mit welchem Koch würdest du gerne mal zusammenkochen und wieso?
Auch eine schöne Frage, ich habe ja schon viele Interviews gegeben, aber die gefällt mir auch sehr gut. Der Traum ist schon in Erfüllung gegangen, weil ich mit Jeong Kwan, der berühmtesten veganen Köchin der Welt, drei Tage kochen durfte. Sie selbst bezeichnet sich aber immer als Nonne. Durch die Netflix-Serie «Chef’s Table» wurde sie berühmt. Sie fuhr sogar vorne in meinem Transportvelo mit. Ein Traum wäre es mit ihr in ihrer Klosterküche zu kochen. Oder mit Tanja Grandits, von ihr bin ich auch ein Riesenfan. Sie ist zwar nicht per se eine vegane Köchin, aber kocht viel aus Pflanzen.

Bild von Lauren Wildbolz und Jeong Kwan

Was ist dein Lieblingsgewürz?
Puh, da gibt es viele. So eine Rohkost Bourbon Vanille, ganz schwarz mit einem tiefen Vanillearoma für den süssen Bereich. Ich spreche manchmal von den Lauren Mise en Place, drei kleine, gleich grosse Häufchen feingehackter Zwiebeln, Knoblauch und Ingwer. Wenn du die anröstest und irgendetwas dazu gibst, wird’s immer toll. Zitronengras und Kardamon mag ich auch sehr. Das Dukkah-Gewürz, ist eine nordafrikanische Gewürzmischung und gibt es im Coop zu kaufen. Eigene vegane Versionen von selbstgemachten Furikake-Gewürzmischungen aus Japan mit Wasabi. Oder Matcha zusammen mit Schokolade ist sehr fein.

Welche Zutat hast du immer zuhause?
Knoblauch, Ingwer und Zwiebeln (lacht). In der buddhistischen Lehre ist dies ein absolutes No-Go, weil Knoblauch und Zwiebeln das Chi (Lebensenergie = sexuelle Energie) erhöht und sie dies zum Meditieren sehr niedrig halten wollen. Im Hinduismus ist der Knoblauch auf dem gleichen Level wie Fleisch, also verboten. Die hinduistische Küche ist vegetarisch. Sonst habe ich immer Wasabi, geröstetes Sesamöl und Ume-Su Essig, das ist der fermentierte Pflaumen-Aprikosen Essig, ganz pink, wenn du den in die Salatsauce gibst, brauchst du nicht mehr zu salzen. Frische Kräuter und Zitronen. Träufle überall ein bisschen Zitronensaft darüber, durch das Vitamin C kann der Körper die anderen Vitamine besser aufnehmen.

Bilder: Lauren Wildbolz

Keine Kommentare

Kommentar verfassen