Vor einer Woche ging das jüdische Filmfestival Yesh zu Ende. An eben diesem Mittwoch führte ich das Interview mit dem israelischen Regisseur und Drehbuchautor Amichai Greenberg. Er präsentierte seinen ersten Kinofilm «The Testament» in Zürich. Der Film handelt von dem orthodoxen Juden Yoel, der verzweifelt versucht ein Massaker aus dem zweiten Weltkrieg zu beweisen und dabei herausfindet, dass er gar kein Jude ist.
Wurdest du von einer wahren Geschichte bezüglich des orthodoxen Yoel inspiriert?
Nein, seine Geschichte ist reine Fiktion. Die Geschichte über das Massaker entspricht der Wahrheit.
Wie war es für dich eine Geschichte über den Holocaust zu drehen?
Für mich ist der Film nicht über den Holocaust. Obwohl mein Vater und Grossvater Holocaust Überlebende waren. Dieses Thema ist für mich sehr natürlich. Auf was ich aber in diesem Film eingehen möchte, ist die Frage der Identität im Zusammenhang mit dem Holocaust und wer wir schlussendlich sind als Menschen.
Wieso wolltest du Ori Pfeffer als Hauptdarsteller?
Der ganze Film basiert auf dem Charakter von Yoel. Es musste ein sehr charismatischer Schauspieler sein, in dem sehr viele Gefühle lodern, die er aber nicht herauslässt. Also brauchte ich jemanden mit diesen Eigenschaften. Als ich Ori sah, war der Fall klar. Mir gefiel auch, dass er im normalen Leben sehr weit entfernt von dieser Materie ist. Dies war für mich als Regisseur sehr spannend, so eine Transformation zu bewirken.Hattest du den Cast schnell zusammen?
Erst als ich Ori ausgewählt habe, begann ich die restlichen Schauspieler zu casten. Jede weitere Rolle musste in einem Gegensatz zu Yoel stehen. Die Herausforderung war Ori zu finden, danach ging es einfacher.
Wie sah es mit den österreichischen Schauspielern aus?
Wir haben mit einer Agentur in Österreich zusammengearbeitet. Ich habe schon per Email gemerkt, dass wir uns sehr gut verstehen. Die Geschichte der Schauspielerin Michaela Rosen ist sehr spannend. Soll ich sie dir erzählen?
Ja, klar!
Ich brauchte jemanden mit einem starken Charisma. Das Problem war, dass die Rolle nicht wahnsinnig gross war. Die Mitarbeiterin sagte mir, es werde schwierig, so jemanden für eine kleine Rolle zu finden. Sie empfahl mir eine Frau, bei der es aber wahrscheinlich war, dass sie ablehnen würde. Ich sagte ihr, sie soll sie dennoch fragen. Nach zwei Tagen bekam ich schon ihre Zusagen. Als ich zum zweiten Mal nach Österreich flog für das Vorsprechen kamen noch weitere Schauspielerinnen. Aber Michaela schlug sie alle bei weitem. Nur als sie den Raum betrat, wurden alle still – so eine starke Präsenz hat sie. Michaela fragte mich dann, ob ich wissen wolle, wieso sie die Rolle spielen wollte. Natürlich wollte ich es wissen. Dann erzählte sie mir, dass sie erst vor vier Jahren herausgefunden hatte, dass sie Jüdin ist. Bei der Premiere in Venedig erzählte sie es zum ersten Mal der Presse.
Ein tragisches Ereignis gab es mit dem Charakter von Burm. Als wir in Österreich ankamen, um zu drehen, wartete ein österreichischer Mitarbeiter leichenblass auf uns. Dann erzählte er, dass der Schauspieler einen Herzanfall gehabt hatte. Die Österreicher waren unglaublich gestresst, weil wir nun einen neuen Schauspieler suchen mussten. Aus irgendeinem Grund blieb ich ganz ruhig, das hat sie noch mehr gestresst (lacht). Kurz nach dem ersten Vorsprechen habe ich das Ganze abgeblasen. Ich habe meiner Crew gesagt, lernen wir etwas daraus. Es macht doch auch viel mehr Sinn, dass der Mann gar nicht auftaucht. Also habe ich das Drehbuch ein bisschen umgeschrieben und wir konnten mit den Dreharbeiten starten.Es geht ja nicht nur um das Massaker, sondern auch um das Leben von Yoel. Wieso war es dir wichtig diese beiden Komponenten zu zeigen?
Mich interessiert die persönliche Geschichte, um die habe ich den Rest des Films konstruiert. Diese beiden Geschichten harmonieren gut zusammen. Für mich ist der Film auch deshalb nicht über den Holocaust, weil die Identitätsfrage, dass was uns bleibt am Ende des Tages, heute so wichtig ist. Wenn du auf einmal herausfindest, dass du kein Jude bist, ändert sich alles. Physisch bleibst du derselbe, aber deine Identität wird komplett auf den Kopf gestellt. So kam ich auf die Idee, die beiden Geschichten zu vereinen.
Welche Botschaft möchtest du mit diesem Film vermitteln?
Es gibt viele. Aber wenn ich es auf eine Botschaft beschränke, ist, es sicher die enorme Wichtigkeit der Herkunft heutzutage. Du siehst das beim Brexit, in Katalonien oder den USA, trotzdem müssen wir nationenübergreifend denken. Dies endet oft in Fremdenhass. Zum einen wollen wir den Liberalismus, zum anderen sind wir auch alle gleich. Keine dieser zwei Extreme geht auf. Die eigene Identität ist sehr wichtig, denn wir unterscheiden uns doch einer vom anderen. Aber was ich auch im Film sehe, ist, dass wenn wir uns unserer Identität und Gemeinschaft bewusst sind, sich Gemeinsamkeiten auftun, die uns mit dem Rest der Welt verbindet. Das Ziel ist nicht, dass wir alle gleich sind, sondern, dass wir mit unserer Einzigartigkeit eine Gemeinschaft schaffen können. Dies ist die Botschaft, die ich mit dem Film vermitteln möchte.
Was hat dich inspiriert diesen Film zu drehen?
Es gab einige Inspirationen. Der Charakter der Mutter ist eine Inspiration des Buches «Katerina» von Aharon Appelfeld, ein israelischer Schriftsteller und Holocaust-Überlebender, der vor zwei Monaten gestorben ist. Katerina ist ebenfalls ein Mädchen, dass bei einer jüdischen Familie arbeitet. Eine weitere Inspiration war der Film «The Conversation» von Francis Ford Coppola. Der Hauptdarsteller in seinem Film ist auch ein Einzelgänger wie Yoel.
Wieso wolltest du Regisseur werden?
Als ich einen Beruf suchte, hat mich alles nur zur Hälfte erfüllt. Regisseur zu sein, gab mir die Möglichkeit so viele Tätigkeiten miteinander zu verbinden. Der Beruf ist zum einen sehr technisch, zum anderen auch poetisch. So fühle ich mich als Einheit und kann alle meine Fähigkeiten ausleben.
Auf welchen Film bist du am meisten stolz?
«The Testament» ist mein erster Kinofilm und ich bin wahnsinnig stolz auf ihn.
Bilder: Daphne Chaimovitz, Yesh
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