Deborah Esther Lipstadt (70) ist eine amerikanische Historikerin und Holocaust-Forscherin. Sie lehrt an der Emory University in Atlanta und schrieb fünf Bücher. Eines davon drohte ihr und dem Holocaust zum Verhängnis zu werden.
Deborah Lipstadt veröffentlichte 1993 das Buch «Denying the Holocaust», indem sie Holocaust-Leugner an den Pranger stellt. 1996 verklagte David Irving, einer dieser Holocaust-Leugner, Lipstadt und ihren Verlag unter anderem wegen Beleidigung. Taktisch klug gewählt, machte er dies in England, wo der Angeklagte seine Unschuld beweisen muss. Daraufhin begann der Prozess, der nicht nur um Lipstadt ging, sondern viel mehr auch darum die Lügen von Irving zu widerlegen. Im März 2000 fällte der Richter das Urteil und Irvings Klage wurde abgewiesen. Lipstadts Anwälte konnten Irving seine Lügen nachweisen.
2008 würde Deborah Lipstadt angefragt, ob ihre Geschichte verfilmt werden darf. Im Mai 2017 erscheint nun der packende Film «Denial» von Regisseur Mick Jackson in den Schweizer Kinos. Neben dem britischen Humor und den schauspielerischen Glanzleistungen überzeugt der Film auch mit viel Spannung, die bis zum Schluss anhält, als der Richter endlich sein Urteil verkündet.
Deborah traf ich am 23. März in Zürich, wo sie anlässlich der jüdischen Filmtage Yesh! ihre Geschichte und somit den Film «Denial» vorstellte. Als ich den Raum betrat, sagte sie: «Ich muss nur noch schnell die E-Mail abschicken, dann bin ich gleich bei dir». Typische amerikanisch und super sympathisch kam diese Kämpfernatur rüber und ich freute mich noch mehr, ihr all meine Fragen stellen zu dürfen.
Wieso bist du eine Holocaust Forscherin geworden?
Sicher ein Grund ist, dass ich Jüdin bin. Ich bin kurz nach dem Holocaust geboren, habe aber keine persönliche Verbindung zum Holocaust. Keiner aus meiner Familie viel den Nazis zum Opfer. Zudem war ich Teil der Vietnam-Protest-Generation. Wir dachten alle, wir könnten es besser machen als unsere Eltern. Natürlich war das lächerlich. Dann bereiste ich auch Israel kurz vor und nach dem Sechstagekrieg 1967. All diese Gegebenheiten formten mir den Weg, Historikerin und Holocaust-Forscherin werden zu wollen.
Hast du erwartet, dass deine Provokation im Buch zu einem Prozess führen wird?
Nein, nie!
Würdest du wieder so provozieren, jetzt wo du weisst, dass es vor Gericht gehen kann?
Ich sage, was gesagt werden muss. Ich hätte gewisse Dinge sicher diplomatischer sagen können. Aber ich habe bewiesen, dass Irving ein Holocaust-Leugner ist. Heute würde ich sogar noch heftiger schreiben, weil ich noch schlimmere Sachen über ihn erfahren habe.
Hat dein Anwalt Richard Rampton gespielt von Tom Wilkinson wirklich diesen wunderbaren britischen Humor?
Ja, den hat er wirklich und dies wurde auch super dargestellt im Film.
Hat dieser euch geholfen mit dieser lächerlichen Situation umzugehen?
Ja, sehr. Das ganze Team hatten diesen wunderbaren Humor und wir haben uns, vielleicht auch deswegen, sehr schnell gut verstanden. Der Drehbuchautor David Hare schafft es auch, diesen Humor rüberzubringen.
Seid ihr Freunde geworden? Habt ihr immer noch Kontakt?
Ja, wir sind uns alle sehr nahe. Wir hatten gerade einen Geburtstag und es gab eine zusammengestellte Videobotschaft mit Freunden von überall auf der Welt. Mit meiner Schwester, meinem Bruder, meiner Schwägerin, meine Nichten und Neffen und auf einmal waren da auch Richard Rampton und Anthony Julius. Das war sehr schön.
Warst du oft am Set?
Ja, sehr oft sogar.
Hast du Einfluss genommen?
Nein, ich war sehr vorsichtig und sagte wenig. Ausser natürlich es wäre irgendein massiver, geschichtlicher Fehler gewesen. Aber kurz gesagt, wenn du am Set bist, steh den Produzenten nicht im Weg (lacht). Es war eine sehr surreale Erfahrung, deine Geschichte auf einem Filmset zu sehen. Komisch, aber sehr schön.
Wie war es für dich, als du die finale Version des Films sahst?
Ich war sehr erfreut.
War es dir wichtig, dass eine Jüdin deine Rolle spielt?
Nein, ich wollte eine grossartige Schauspielerin. Sie haben aber nicht nur eine Jüdin gefunden, sondern auch eine Frau, die ihre persönliche Verbindung mitbringt. Die Eltern von Rachel Weisz sind vor den Nazis geflohen. Am Set erzählte Rachel persönliche Geschichten. Eine davon hat mich sehr berührt. In der Schulzeit hatte Rachels Mutter eine beste Freundin, die durfte dann aber nicht mehr ihre beste Freundin sein, weil sie Jüdin war.
Das ist sehr traurig.
Ja, ich glaube es war das erste Mal, dass sie die Leugnung des Holocaust in ihrem Leben angesprochen hat.
Warst du sehr enttäuscht von der Reaktion der jüdischen Gemeinschaft in London, als sie dir nahelegten, den Prozess mit einem Vergleich beizulegen?
Schliesslich haben sie mich doch unterstützt. Aber die erste Reaktion war sehr schwierig für mich zu verstehen. Es war ein schrecklicher Moment. Es zeigt eine ältere Form des jüdischen Lebens in England. Ja kein Aufsehen zu erregen. Heute ist dies aber nicht mehr so.
Dir war es unglaublich wichtig zu kämpfen und in den Zeugenstand zutreten. Deine Anwälte wollten dies um jeden Preis verhindern. Wann wurde dir bewusst, dass dies die beste Strategie war?
Ich habe es viel früher realisiert, als es im Film dargestellt wurde. Ich war nicht so dumm! (Lacht, schnappt sich ein Canapé und beginnt zu essen. Wie sie ist, offeriert sie mir natürlich auch welche, aber ich lehne dankend ab. Zu spannend ist die Geschichte, dass ich essen könnte). Was vielleicht im Film nicht ganz so klar rüberkommt ist, dass wir zwei Möglichkeiten hatten. Entweder hätten wir alle Dokumente und die Überlebenden, die beweisen, dass der Holocaust passiert ist, dem Richter präsentieren können. Aber dies wäre ein Ping Pong Spiel geworden. Irving hätte jedes Dokument auseinandergenommen und wir wären nur am Diskutieren gewesen. Vor allem aber wollten wir nicht, dass er die Überlebenden beleidigt. Also beschlossen wir den zweiten Weg einzuschlagen. Wir folgten seinen Aussagen bis zu den Quellen und dann nutzten wir sie gegen ihn. Anstatt das wir bewiesen, dass der Holocaust stattfand. Bewiesen wir, dass was Irving behauptete, passiert zu sein, nicht passiert war. Und das war sehr wichtig.
Wie schwer war es das ganze Handling des Prozesses abzugeben und während dem Prozess still zu sein?
Sehr schwierig. Ich bin eine sehr kontrollierende Person und Kontrolle abzugeben, ist sehr hart.
Wann wurde dir bewusst, dass es im Grunde gar nicht um deine Beleidung gegenüber Irving ging, sondern er so eine Bühne bekam, um seine Holocaust-Verleumdungen zu verbreiten?
Es war klar, dass er mich benutzte um seine Bühne zu bekommen. Aber wenn er gewonnen hätte, wäre es um mich gegangen. Deborah Lipstadt verlor ihren Fall gegen David Irving. Es ging um etwas Grösseres, aber auch um mich, weil ich das Kernstück des Falls war.
Hast du je wieder etwas von David Irving gehört?
Nein, zum Glück nicht. Will ich auch gar nicht (lacht). Manchmal lese ich über ihn in der Presse, aber das ist schon alles.
Rückblicken hättest du je gedacht, dass deine Geschichte einmal verfilmt würde?
Nein, das hätte ich mir nie träumen lassen. Manchmal während dem Prozess als wir beim Mittagessen zusammensassen, machten wir Witze, wie: Komm, lasst uns einen Film darüber drehen». Aber das war lächerlich. Ich habe nie gedacht, dass dies jemals geschehen würde.
Was bedeute es dir, dass deine Geschichte verfilmt wurde?
Es ist unglaublich! Auch mit dieser Qualität vom Regisseur bis zu den Schauspielern. Unglaublich!
* Rachel Weisz als Deborah Lipstadt
* Tom Wilkinson als Richard Rampton
* Timothy Spall als David Irving
* Andrew Scott als Anthony Julius
* Jack Lowden als James Libson
* Caren Pistorius als Laura Tyler
Bilder: Daphne Chaimovitz, Filmcoopi AG
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