Interview mit Marc Forster

Marc Forster – seltene Bescheidenheit in Hollywood

Im Hotel Widder treffen wir den deutsch-schweizerischen Regisseur Marc Forster (47) und interviewen ihn zu viert zu seinem neusten Film «All I See Is You». So ein Interview hatte ich noch nie! Dank Marcs Mehrsprachigkeit konnten wir die Fragen auf Schweizerdeutsch, Hochdeutsch und Englisch stellen, in welcher Sprache sich jeder Journalist am wohlsten fühlte. Marc antwortete mit viel Tiefgang und Humor. Einer der angenehmsten Interviewpartner, den ich je hatte.

Bild von Marc ForsterWieso wähltest du die Blindheit, um über Beziehungen sprechen?
Du weisst ja: Liebe macht blind (lacht). Metaphorisch gesehen, zu sehen oder nicht zu sehen, war mir immer sehr nah. Mit einer Beziehung ist es am einfachsten eine Geschichte zu erzählen. Was wir sehen oder nicht, lässt uns in einer Beziehung bleiben oder sie zerbrechen. Die Themen dieser Geschichte waren mir entweder sehr vertraut oder ich kenne ähnliche Leute.

Kennst du jemanden blindes?
Nein, ich habe aber viel recherchiert und ich habe mit drei blinden Menschen intensive Gespräche geführt. Zwei von ihnen wurden als Jugendliche blind und sehen Lichtreflexe, ähnlich wie der Charakter Gina (gespielt von Blake Lively). Die dritte Person kann nach einer Operation wieder sehen. In den Gesprächen ging es darum, wie sie die Realität wahrnehmen, ihre Vergangenheit, die Wahrnehmung von Emotionen und die Veränderung in den Lichtern, die sie sehen.
Für mich war es wichtig, die Geschichte aus der Sicht einer Frau zu erzählen. Blake arbeitete sehr eng mit den Blinden zusammen, damit sie lernte, wie sie kommunizieren und mit dem Alltag umgehen.Bild aus dem Film All I See Is You

Wieso war es dir wichtig, dass es eine Frau ist? Sehen sich Frauen anders, wenn sie sich sehen?
Nein, ich fand es wichtiger, dass es eine Frau ist, damit der Mann schon als besitzergreifend erkennbar ist, weil er sich so eine Partnerin aussucht. Als sie dann ihr Augenlicht wiederbekommt, verschieben sich die Kontrolle und das Besitzergreifen. Für mich ist es eine Liebesgeschichte, die leider am Schluss nicht funktioniert. Meiner Meinung verbindet man sich in jeder Liebesgeschichte mental und körperlich. Wenn eins von zweien nicht funktioniert, zerbricht sie dann.

Wieso hast du dich für Blake Lively als Hauptdarstellerin entschieden?
Ich besuchte Blake in Connecticut, wo sie lebt. Als ich sie traf, war für mich der Fall klar. Sie hatte den Stoff verstanden und ich fand sie sehr intelligent, intuitiv und auch attraktiv. Mir war es enorm wichtig, die äussere Verwandlung ebenfalls zu zeigen. Gina weiss ja nicht, wie sie aussieht und ihr Mann lässt es nicht zu, dass sie auffällt. Die Veränderung in den Kleidern, dem Make-up und den Haaren ist immens, wenn sie blind ist und als sie tatsächlich sehen kann. Erst dann findet sie zu sich selbst. Kurz gesagt, hatte Blake alle Elemente, die ich suchte.Bild aus dem Film All I See Is You

Gab es für dich als Regisseur auch den Anreiz, die Liebegeschichte so zu wählen wegen der Akustik und den Bildern?
Sicher, ich wollte vom Visuellen her etwas Neues und Experimentelles machen, das man so noch nicht gesehen hat. Dies war eine Herausforderung, weil ich ja nicht wusste, ob es funktioniert. Erst in der Postproduktion sahen wir, dass es klappte. Beim Ton war es sehr wichtig zu zeigen, wie jemand der nicht sieht, die Welt akustisch wahrnimmt. Das Sounddesign hat auch sehr viel Spass gemacht.

Viele Szenen sind auch unscharf, wieso war dir das wichtig?
Es gibt so eine Zeile in einem Woddy Allen Film: «Der Film ist unscharf, es wird ein Hit in Frankreich» (alle lachen laut). Aber im Ernst, es war mir von grosser Bedeutung zu zeigen, wie sie «sieht» und was sie wahrnimmt.

«All I See Is You» ist ein grossartiger Titel. War es dir wichtig, einem Mann am Schluss abhängig zu machen?
Ja, Frauen sind komplexer und faszinierender anzuschauen. Männer sind simpel, deswegen sind sie gut in Actionfilmen. Sie wissen, wie sie eine Waffe halten, schiessen und treffen müssen (lacht). Aber Frauen sind viel interessanter, wenn es zu emotionalen Komplexitäten kommt. Da schaue ich mir lieber eine Frau an. Dieser Mann in meinem Film ist sehr einfach gestrickt. Er will besitzen, kontrollieren und keine Freiheit geben. Wenn du der Liebe keine Luft zum Atmen gibst, stirbt sie.Bild aus dem Film All I See Is YouHast du ausprobiert für ein paar Stunden nichts zu sehen und die Kontrolle abzugeben?
Während wir das Skript geschrieben haben, machten mein Co-Writer und ich kleine Übungen. Eigentlich trage ich Kontaktlinsen, die habe ich aber jetzt nicht drin, so ist es ein bisschen wie im Film (lacht). Wir hatten auch die speziellen Kontaktlinsen von Blake, mit denen man wirklich nichts mehr sieht!

Ah, also sieht sie tatsächlich nicht im Film?
Genau, mit diesen Linsen in den Augen spielt sie am Anfang des Films blind. Während wir das Drehbuch schrieben, probierte ich diese Linsen auch aus. So konnte ich besser nachvollziehen, wie ich die Szenen schreiben soll. Nach zwei drei Stunden wurde es sehr hart «blind zu sein». Wart ihr in dem Restaurant «Blinde Kuh» in Zürich? Nach ein paar Stunden war ich dort klaustrophobisch. Dieses Gefühl hatte ich auch, als ich ein MRI machen musste wegen einer Beule am Kopf. Deswegen habe ich zusätzlich noch diese Szene im Film gewählt, wo sie auch in die Röhre muss. Das ist eine doppelte Belastung, weil sie nichts sieht und nur die Enge der Röhre und die lauten Geräusche wahrnimmt.Bild aus dem Film All I See Is You

Wieso spielt der Film in Bangkok?
Es war mir wichtig, seine Dominanz zu zeigen. Er nahm Gina in eine Stadt mit, in der sie die Sprache nicht verstand. Es gibt da so viele Gerüche, Aktivitäten und es ist sehr laut.

Miguel Fernandez, der Ramon (Ginas Schwager) spielt, ist super. Wie kam es zu der Szene mit dem Kleid?
Ja, das finde ich auch. Die Szene, in der er das Kleid anzieht, ist improvisiert. Ich wollte nur sehen, was passiert. Er zog also das Kleid an, nebenan lief die Szene in der sich die beiden Schwestern schminkten und darüber sprachen zum Unfallort zurückzukehren. Dann kam er im Kleid rein, sie hatten keine Ahnung und schauten ihn sprachlos und mit fragenden Augen an, was geht denn hier ab?! Es war so lustig!

Wie schwierig ist es für einen Regisseur einen eigenen Film ins Kino zu bringen, wenn es keine Auftragsarbeit ist?
Es wird immer schwieriger. Wir fanden am Filmfestival in Toronto 2016 einen Privatinvestor. Die Verhandlungen zogen sich dann aber immer mehr in die Länge. Schlussendlich kommt dieser Film nun am 28. Oktober 2017 in den USA in die Kinos.

Man sagt ja oft über uns Schweizer, dass wir eher zurückhaltend sind. Welche Schweizer Eigenschaft hilft dir besonders in Hollywood?
Ich glaube, sie schätzen sehr die Disziplin und das Arbeitsame. Alle meine Filme ausser World War Z waren im Budget und on time. Ich respektiere auch enorm den Investor oder das Studio, dies ist mir ein grosses Anliegen. Wenn mir jemand Geld für einen Film gibt, dann erweise ich ihm den verdienten Respekt. Ich habe Regisseur-Kollegen, denen ist das egal. So ein Verhalten habe ich eben nicht in mir und das ist sehr schweizerisch. Ich musste in Amerika lernen mich selbst zu verkaufen, weil die Amerikaner immer frei nach dem Motto sind: Wir sind die Grössten und Besten. Trotzdem bin ich als Schweizer immer noch sehr bescheiden, lasse lieber Blake oder die Schauspieler die Pressearbeit machen und bleibe im Hintergrund. Ich liebe meine Arbeit und bin dankbar, dass ich weiterhin Filme drehen kann. Aber mich da gross in den Vordergrund zu stellen, habe ich immer noch nicht in mir.Bild von Marc Forster und Daphne Chaimovitz

Bilder: Zurich Film Festival, © Ascot Elite Entertainment Group. All Rights Reserved., Daphne Chaimovitz


Zur Filmkritik von «All I See Is You»

Bild aus dem Film All I See Is You

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