Interview mit Ines Nerina

Ines Nerina (29) aus Bukarest lebt seit 2017 mit Typ 1 Diabetes. Kurz nach der Diagnose entschloss sie sich, mehr Bewusstsein für Diabetes zu schaffen. 2019 gründete sie ihre NGO «Type 1 Dreamers Patient Association», um andere Betroffene zu unterstützen.

Bild von Ines Nerina

Wie bist du nach der Diagnose zurechtgekommen?
Ich habe sie von Anfang an akzeptiert. Sehr bald habe ich beschlossen mein Leben mit Diabetes, egal, ob Herausforderung oder Freude, in der Öffentlichkeit zu teilen. Als ich mit 23 als chronisch Kranke aufwachte und meine ganze Welt zusammenbrach, wusste ich überhaupt nichts über dieses Hormon Insulin, dass meine Bauchspeicheldrüse nicht mehr produzierte. Ich musste es mir nun selbst spritzen, um zu überleben! Herauszufinden, dass es keine Heilung gibt, war sehr hart. Ich bekam weder moralische Unterstützung noch genug Informationen von anderen Diabetikern, also beschloss ich, meinen eigenen Blog über meine «Höhen und Tiefen» (bezieht sich auch auf die hohen und tiefen Blutzuckerwerte) zu starten. Doch daraus folgte die schönste Erfahrung, die ich mir erträumt hatte. Ohne es zu wissen, wurde ich zur Unterstützung für andere Diabetiker*innen, in dem ich mich verletzlich zeigte und meine Gefühle sowie Erfahrungen teilte. Später erstellte ich auch meinen YouTube Kanal über mein Leben mit Diabetes. Vor fünf Jahren bekam ich die Diagnose und seither dokumentiere ich mein «süsses» Leben auf Social Media. 2017 wurde ich wieder geboren und habe gelernt, bewusster zu leben, denn je zuvor!

Was waren deine Ängste?
Ich hatte Angst alleine zu sein. Das war der Hauptgrund, weshalb ich die Online-Community gestartet habe. So konnte ich Freunde finden, die wie ich sind. Nach der Diagnose fühlte ich mich sehr allein gelassen und missverstanden von meinen Freunden. Im Internet fand ich Menschen, die mir ähnlich waren. Was mich wirklich getroffen hat, war als meine früheren Freunde mir vorwarfen, dass ich meinen Vlog nur mache, um Aufmerksamkeit zu haben oder mich als Opfer darzustellen. Nur ich wusste über den heilenden Effekt, der meine Online-Präsenz für mich hatte.

Bild von Ines Nerina

Was war die grösste Verbesserung für dein Diabetes Management?
Die Insulinpumpe und das CGM (kontinuierlichen Glukosemessung) machten den relevanten Unterschied, weil sie mir die Sicherheit und Kontrolle geben, die ich brauche.

Was ist die grösste Herausforderung in deinem täglichen Leben mit Diabetes?
Es ist immer herausfordernd, zu sagen, dass ich «normal» bin, wenn ich meinen Diabetes erkläre. Ich finde es nicht schwierig, Kohlenhydrate zu zählen oder meinen Bolus zu berechnen, aber anderen jedes Mal zu erklären, dass ich alles essen und machen kann, was ich mir wünsche, ist anstrengend.
Bewusstsein von nicht Diabetikern über Typ 1 Diabetes zu schaffen, ist der schwierigste Teil.

Gibt es etwas, dass du besser kannst wegen dem Diabetes?
Alles ist besser wegen dem Diabetes! Vor der Diagnose war ich eine ziemlich oberflächliche Person. Also kein Wunder, dass meine damaligen Freunde nach meiner Diagnose nicht bei mir blieben. Die waren genau gleich wie ich früher. Ich lernte Empathie erst nach meiner Diagnose kennen und habe mich selbst viel besser kennengelernt. Ich war eine sehr ängstliche und scheue Person, die immer Angst hatte, vor Publikum zu sprechen.

Deswegen ist Diabetes das Beste, was mir passieren konnte. Es lehrte mich, meine Angst zu überwinden, neugierig zu sein, LAUT zu sprechen und mich um andere zu kümmern. Einfach richtig und bewusst zu leben! Ich bereue es sehr, dass ich nicht schon vorher mutiger war. Sobald ich mir keine Sorgen mehr machte, passierten die tollsten Sachen in meinem Leben!

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Wie würdest du jemanden unterstützen, der gerade neu diagnostiziert wurde?
Mein erster Ratschlag wäre, eine Community zu suchen und Freunde mit Diabetes zu finden, die einen unterstützen und verstehen können. Diese zwei Faktoren sind das Wichtigste in so einer schweren Zeit.

Wann hast du deine NGO gegründet?
Ich habe «Type 1 Dreamers Patient Association» 2019 ins Leben gerufen, weil es die natürliche Weiterentwicklung von meinem Engagement war. Da ich mich am Anfang so einsam gefühlt habe, wollte ich Menschen mit Diabetes treffen. Deswegen kündigte ich auf Facebook an, dass ich ein Camp für junge Menschen mit Diabetes organisiere. Ich hatte null Erfahrungen damals, aber 20 Leute kamen und so lernte ich meine zukünftigen, besten Freunde kennen. Da habe ich beschlossen, mehr Camps für die Diabetes-Community zu organisieren. Ein Verein ist perfekt, um unabhängig zu bleiben. Heute bietet die «Type 1 Dreamers Patient Association» nicht nur kostenlose Camps an, sondern unterstützt mit lehrreichen Webinars und Podcasts, stellt Glukosesensoren und sonstige Mittel für Diabetikern in Not zur Verfügung. Die Ziele des Vereins sind Unterstützung, Zugang zu Behandlungen und edukative Projekte zu bieten, sowie die Bedürfnisse der Patienten vor den Behörden zu vertreten.

Was war dein grösster Erfolg bis jetzt?
Definitiv meine 125’000 Online-Community.

Was willst du in der nahen Zukunft erreichen?
Ich hätte gerne einen physischen Ort für meine NGO, wo Menschen vorbeikommen können, um Unterstützung oder medizinisches Material zu erhalten. Ich möchte auch gerne Vollzeit-Mitarbeitende.

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Wieso ist es deiner Meinung nach wichtig, Bewusstsein für Typ 1 Diabetes zu schaffen?
Ich finde es wichtig, die falschen Vorstellungen rund um Diabetes richtig zu stellen. Insbesondere, wenn es zur Arbeitswelt kommt, werden viele Leute mit Typ 1 Diabetes aufgrund ihrer Erkrankung abgelehnt. Ebenso ist es wichtig, dass Diabetiker*innen Zugang zu modernen Geräten wie Insulinpumpen und CGMs haben, damit sie ein gutes, gesundes und normales Leben führen können.

Was ist dein Wunsch für dein Leben mit Diabetes?
Ich wünschte mir, essen zu können, ohne die Kohlenhydrate zu zählen. Dies ist eines der nervigsten und schwierigsten Dinge, die ich jeden Tag machen muss. Hoffentlich erleben wir die magische Pumpe, die dies in der Zukunft für uns machen wird.  

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Bilder: Ines Nerina

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