Silvano Lieger (32) aus Zürich ist seit 2019 Geschäftsführer von Sentience Politics. Als engagierte Freiwillige bei der Initiative gegen Massentierhaltung nahm es mich sehr wunder, wie es nach dem Nein weitergeht. Im Interview verrät mir Silvano, was die nächsten Schritte sind, wieso es überhaupt eine Verbesserung für die Tiere in der Schweizer Landwirtschaft braucht und wie man sie unterstützen kann.
Wie kam es zu der Initiative gegen Massentierhaltung?
Seit 2016 hat sich Sentience mit diesem Thema beschäftigt. Eine Initiative ist ein spannendes Aktivismusinstrument, weil man mit relativ geringem Aufwand viele Menschen erreichen kann. Es dauerte fast zwei Jahre, bis wir den finalen Initiativtext hatten. Danach ging’s ans Stimmen sammeln, wo unsere damalige Co-Geschäftsleiterin und heutige Nationalrätin Meret Schneider federführend mitwirkte. Relativ schnell kam es dann zu Partnerschaften, zunächst mit der Fondation Franz Weber, dann auch mit Greenpeace und Vier Pfoten. Unsere vier Organisationen haben die Trägerschaft der Initiative gebildet. Das Ziel war von Anfang an, eine breite Allianz zu bilden. Wir gingen auch auf Landwirtschafts- und andere Tierschutzorganisationen zu und haben auch dort Verbündete gefunden. Es war uns wichtig, dass es keine radikale Initiative ist, sondern eine anschlussfähige. Wir wollten mit der Landwirtschaft zusammenarbeiten und nicht gegen die Bäuer*innen schiessen.
Habt ihr versucht mit der SVP zusammenzuarbeiten? Sie nennen sich ja die Bauernpartei.
Wir haben mit allen relevanten Stakeholdern gesprochen, auch mit dem Bauernverband. Wir hatten auch ein paar Unterstützer aus der SVP. Es ist immer auch eine Schnittmenge mit anderen Themen. Es geht um Wirtschaftlichkeit, Ertrag und produzierende Landwirtschaft. Gerade letzteres ist der SVP sehr wichtig, um die Ernährungssicherheit zu garantieren. Wenn man sich mit Ernährungssicherheit ein wenig auskennt, weiss man, dass man pflanzliche Proteine einfacher herstellen kann als tierische. Eine Initiative der SVP ist in der Pipeline bezüglich der Ernährungssicherheit, die aber beinhaltet, dass die Tierproduktion als zentraler Bestandteil bestehen bleiben muss.
Es wurde von uns und auch vom Bundesrat kommuniziert, dass die Produkte um 5 bis 20% teurer würden. Diese Tatsache wurde krass verzerrt und es wurde behauptet, dass die Preise um 40% steigen und alle dann nur noch im Ausland einkaufen würden. Eine absolute Horrorvorstellung für die SVP. Aufgrund der Preiserhöhung hätte ich wenig Chancen gesehen, die SVP mit ins Boot zu holen.
Wie geht ihr mit dem Nein um?
Klar waren wir enttäuscht, als nur 37,1% der Schweizer Bevölkerung Ja gestimmt hat. Allerdings war eine Niederlage absehbar. Die Gegenwehr von bürgerlicher Seite war enorm. Wir haben es schon bei den Besprechungen im Parlament bemerkt. Sofort wurden Allianzen zwischen der Wirtschaft und dem Bauernverband gebildet. Was sehr schade ist, denn der Bauernverband hätte die Initiative als Chance sehen können. Für die Landwirt*innen wird es in den nächsten 25 Jahren enorm schwierig werden, gerade wenn man an Cultured Meat denkt.
Wir haben ein grosses Ziel erreicht: Aufmerksamkeit. Zum ersten Mal musste sich die Schweizer Bevölkerung vertieft mit der Lebensrealität eines Masthuhns befassen. Bei Medienresonanzanalysen, die im Rahmen von Abstimmungen gemacht werden, ist herausgekommen, dass die Tonalität der Medienberichte über die Initiative landesweit im Schnitt positiv war. Ein grosser Mehrwert ist sicher auch, dass sich die Politiker*innen und Journalist*innen mit diesem Thema auseinandersetzen und sich eine Meinung bilden mussten. Falls es wieder einen Skandal gibt oder etwas zu diesem Thema, kann man darauf aufbauen, weil es der Bevölkerung jetzt ein Begriff ist.
Wieso braucht es eine Veränderung und eine Verbesserung für die Tiere in der Landwirtschaft?
Der Aufhänger der Initiative war, dass wir in der Schweiz die einmalige Situation haben, dass die Würde des Tieres in der Verfassung verankert ist. Leider wird diese Würde in der Landwirtschaft nicht respektiert. Im Gegenteil, durch das System wird die Würde kontinuierlich missachtet. Am schlimmsten trifft es neben Schweinen die Masthühner, die über 90% der Tiere in der Schweiz ausmachen. 4% dieser Hühner sterben schon im Stall bei ihrer kurzen Lebensdauer von 30 bis 35 Tagen. Sie verbringen ihr Leben auf der Fläche eines A4-Blattes, 10 Schweine teilen sich die Fläche eines Parkplatzes. Diese Zustände sind nicht kompatibel mit der Tierwürde. Bei den Kühen stehen wir relativ gut da, aber auch dort existiert Verbesserungsbedarf.
Was sind die nächsten Schritte?
Wir haben eine sehr engagierte Allianz, die dieses Thema weitertreiben will. Bei Sentience hat nun das 3R-Projekt gestartet. Es ist umfassender als die Initiative gegen Massentierhaltung und über mehrere Jahre ausgelegt. Die drei R stehen für: Refine, Reduce und Replace. Bei Refine soll das physische und psychische Leid der Tiere in der Landwirtschaft verringert werden.Bei Reduce muss die Anzahl Tiere in der Landwirtschaft gesenkt werden. Bei Replace ist die staatliche Förderung von Alternativen zu tierischen Produkten das Thema.
Die Grossverteiler haben sich zwar komplett aus der Abstimmung rausgehalten, müssen aber dringend in die Pflicht genommen werden. Wir werden Gespräche führen und haben dazu auch schon Einladungen erhalten.
Es muss auch dringend über die Kostenangleichung von den veganen und vegetarischen sowie den überteuerten Bio-Produkten gesprochen werden.
Die Grossverteiler bewirtschaften zwei Kundensegmente und wissen, dass gewisse Leute auch bereit sind, für Bio mehr zu bezahlen. Die Landwirt*innen verdienen nicht wirklich mehr daran, nur der Grossverteiler. Ich habe mit ein paar Schweinebauern gesprochen, die gerne auf Bio umstellen würden. Sie verdienen am Schluss aber weniger, trotz des ganzen Aufwandes, den sie betreiben müssen. Dies ist äusserst problematisch, insbesondere, wenn das Fleisch im Verkauf doppelt so teuer ist. Falls der Detailhändler dann nicht alles unter Bio verkaufen kann und das Fleisch ins konventionelle Sortiment gibt, kriegt der Bauer auch nur diesen Preis und nicht mehr den für Bio.
Das ist ja eine Frechheit! Ich kann auch nicht einfach einen Teil von meinem Einkauf zurückbringen, wenn ich nicht alles aufessen konnte. Es ist ja nicht das Problem des Bauern, wenn der Grosshändler nicht alles unter Bio verkaufen konnte.
Das ist die Marktmacht, die Migros und Coop mit 80% Marktanteil haben. Sie wälzen die Kosten einfach auf die Bauernschaft ab. Wären mehr Player auf dem Markt, könnten sie nicht diese Spiele spielen.
Kann die Initiative gegen Massentierhaltung zu einem späteren Zeitpunkt wieder vors Volk kommen?
Kampagnen zum Thema wird es laufend geben. Auf politischer Ebene sind wir aktuell noch zu weit weg von einer Mehrheit. Dies müsste man in ein paar Jahren wieder beurteilen.
Muss das immer vors Volk oder kann etwas direkt umgesetzt werden, wenn es zum Beispiel eine Einigung gibt, dass alle Tiere auch Zugang zur Weide haben müssen?
Wenn es im Parlament mehrheitsfähige Vorstösse gibt, dann werden sie schnell umgesetzt. Das Problem ist einfach, dass aktuell sämtliche Tierwohl-Anliegen abgeschmettert werden, weil wir eine bürgerliche Mehrheit haben. Diese Mehrheit glaubt: So wie es jetzt ist, ist es gut. Dies zu durchbrechen, ist eine grosse Challenge.
Wie kann man euch unterstützen?
Interessierte können sich für den Newsletter zu unserem 3R-Projekt anmelden und werden informiert, sobald es mit den nächsten Projekten und Events weitergeht.
Bilder: Silvano Lieger, Sentience Politics
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