Seit neun Jahren betreibt Ann Bachmann (37) in Hüntwangen den Verein Lebenshof Tiermensch. Als ich sie auf dem Hof besuche, wartet sie mit ihrem Hund Jay an der Bushaltestelle. So einen schönen Empfang hatte ich schon lange nicht mehr.
Dann beginnt der Hofrundgang, wo Ann mir von jedem Tier die Geschichte erzählt. Es tut so gut zu sehen, wie sich die Tiere wohlfühlen. Natürlich ging mir jedes Mal das Herz auf, wenn ich einem neuen Tierchen vorgestellt wurde und es mich begrüssen kam. Als wir gemütlich im Stroh liegen und dem Säuli Luna den Bauch streicheln, erzählt Ann über die Anfänge und was es alles braucht, um einen Lebenshof zu führen.
Woher kommt die Liebe zu den Tieren?
Diese Zuneigung zu Tieren und der Wunsch, sie besser zu verstehen, war bei mir schon immer vorhanden. Ich wusste schon in der Unterstufe, dass ich einen Beruf mit Tieren erlernen wollte und blieb dabei.
Was hast du ursprünglich gelernt?
Da es früher noch keine dreijährige Lehre zur Tierpflegerin gab, musste ich erst den Detailhandel abschliessen. Damit ich schon da mit Tieren zusammen sein konnte, machte ich diese Ausbildung in einem Zoofachgeschäft mit Reptilien, Meerwasseraquaristik, Amphibien und Kleintieren. Danach musste ich nur noch ein Jahr anhängen, um diesen Abschluss als Tierpflegerin zu erlangen. Schnell merkte ich allerdings, dass ich keine Tiere verkaufen, sondern mich mehr um ihr Wohlergehen kümmern wollte. Ich wechselte dann in den Tierschutz, wo ich ein Tierheim leitete und bei Meldungen von Tierschutzverstössen zu Kontrollen ausrückte.
Später habe ich dann noch den Tierpfleger in einem Tierheim (fachspezifisch auf Hunde und Katzen) abgeschlossen. Da ich fand, dass ich noch viel mehr über Tiere lernen sollte, habe ich diverse Kurse, Seminare und Tagungen besucht. Zusätzlich habe ich weitere Ausbildungen im Bereich Hundeverhalten, Tierpsychologie und -ethologie, tiergestützte Pädagogik absolviert. Momentan besuche ich noch die Landwirtschaftsschule – ich habe schliesslich nie ausgelernt!
Wie bist du auf die Idee gekommen, einen Gnadenhof zu gründen?
Als ich im Tierschutz arbeitete nahm ich die «unvermittelbaren» Tiere zu mir. So entstand der «Gnadenhof» Schritt für Schritt vor neun Jahren. Wir sagen übrigens lieber «Lebenshof», da wir nicht der Meinung sind, dass unsere Tiere eine Gnade brauchen – sie haben schliesslich nie etwas verbrochen. Schuld daran, dass ein Tier einen neuen Lebensplatz braucht, hat immer der Mensch. Das Tier darf bei uns endlich leben wie es möchte, ohne einen «Nutzen» erbringen zu müssen. Seit mein Freund vor drei Jahren auch auf den Lebenshof gezogen ist, tragen wir die Idee auch nach aussen. Vorher war es mir alleine nicht möglich, nebst der Tierpflege und meiner Arbeit auch noch eine Homepage, Facebook, Newsletter, Spendenaufrufe etc. zu machen.Was braucht es alles, damit der Tierlihof funktioniert?
Tierlihof tönt sehr süss – das ist es nicht (immer). Es braucht Durchsetzungswille, Kraft (körperlich und psychisch), eine sehr grosse Motivation, Verzicht auf Ferien, Freizeit, Luxus und Geld. Es bedeutet; zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter draussen zu arbeiten, auch wenn man lieber mal in der warmen und trockenen Stube bleiben möchte. Auch wird man nicht verschont vor Sorgen, welche man sich um Tiere macht – sie wachsen uns sehr ans Herz und sind für uns Familienmitgliedern geworden. Nebst den Tieren, die bereits bei uns leben, kümmern wir uns um sehr viele Anfragen von Menschen, welche uns ihre Tiere abgeben möchten oder um Tierschutzfälle, wo man versucht zu vermitteln. Dies braucht Einfühlungsvermögen und ein grosses Knowhow, gute Vernetzung und Zusammenarbeit mit andern Lebenshöfen.
Was muss man alles beachten, wenn man selber einen Lebenshof gründen möchte?
- Finanzen müssen geplant und gesichert sein (es können immer unvorhergesehene Ereignisse, Tierarztkosten etc. entstehen).
- Der Standort muss gut ausgewählt sein.
- Ein Konzept erstellen.
- Gedanken machen über die Tierarten, welche man aufnehmen möchte.
- Eine geeignete Ausbildung ist wichtig.
- Je nach Tierarten, welche man aufnehmen möchte, muss man ein geeignetes Grundstück mit Weiden und Stallungen haben.
- Ich empfehle, einen Verein zu gründen.
- Zuverlässige Helfer sind unerlässlich, alleine ist ein Lebenshof nicht zu bewältigen.
Wie viele und welche Tiere leben zur Zeit auf dem Hof?
Ca. 170 Individuen: Pferde, Ponys, Schweine, Ziegen, Kaninchen, Meerschweinchen, Hühner und ein Hahn, Enten, Tauben, Ziervögel, Hund, Katzen.
Hinzu kommen etliche Unterschlüpfe und Lebensräume für Wildtiere auf dem Gelände.
Gibt es Tiere, die ihr nicht aufnehmt und wieso?
Kühe, Schafe, Kameliden: Hierfür fehlt der Platz.Woher nimmst du die Kraft, wenn es gerade nicht so gut läuft?
Ich habe meinen Freund, gute Kollegen und Kolleginnen. Ich geniesse die Ruhe auf dem Hof (wenn wir mal alleine sind) und bei Spaziergängen mit dem Hund. Auch die Kindergärten und Schulklassen, welche zu Besuch kommen, geben mir Kraft, um weiterhin in die Zukunft zu investieren. Es braucht Lebenshöfe, um den Kindern die sogenannten „Nutz-“tiere auf eine andere Weise näher zu bringen. Wir müssen den Kindern zeigen, welche Bedürfnisse Tiere haben und wie sie leben möchten. Ausserdem sind alle unsere Besucher sehr lieb und es gibt immer mal wieder aufmunternde und zustimmende Motivation. Am meisten Kraft gibt es wohl, wenn man Menschen die eigene Begeisterung für andere Lebewesen vermitteln und sie damit anstecken kann.
Wie gehst du mit dem Elend um, wie manche Menschen Tiere behandeln?
Ich bemühe mich, Menschen aufzuklären. Nur wenn man eine andere Sicht der Dinge aufzeigt, findet auch ein Umdenken statt. Nur wenn man mit Tieren in Berührung kommt, ihre Geschichten und ihre Persönlichkeiten kennenlernen kann, beginnt man, anders zu denken und somit auch das eigene Handeln anzupassen.Was wünscht du dir von den Menschen?
Mehr Empathie, Einfühlungsvermögen für andere Lebewesen aber auch ein altruistischer Umgang untereinander.
Warum machen so viele Menschen einen Unterschied zwischen einem Hund oder einer Katze, welche sie streicheln, umsorgen und einem Nutztier, welches ausgebeutet, gegessen und oft unter schlechten Bedingungen gehalten und gezüchtet wird.
Was gibt es dir, den Lebenshof zu führen?
Hoffnung, Freundschaften, gute Gespräche und die Möglichkeit, Tieren zu helfen. Bei vielen Menschen kann ich ein Umdenken ins Rollen bringen. Besonders schöne Erlebnisse sind, wenn jemand einem Schweinchen ins Auge blickt und sagt: «Wie konnte ich dich vorher bloss essen?“ oder zu einem Huhn sagt: «Wie konnte ich bloss eure Ausbeutung unterstützen?».
Bilder: Daphne Chaimovitz, Ann Bachmann
Keine Kommentare