Gerhard Reese (41) aus Berlin ist Professor für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. Aufgrund von Filmen wie «Dark Waters», «Animal» oder «Goliath» und meinem Engagement als Tierrechtsaktivistin habe ich mir Gedanken über dieses Phänomen gemacht, weshalb es den Menschen so schwer fällt, die Umwelt zu schützen, obwohl sie wissen, dass der Klimawandel da ist und die Zeit immer knapper wird!
Wieso haben Sie sich für die Fachrichtung Umweltpsychologie entschieden?
Ich könnte jetzt anfangen mit «Schon in meiner frühen Jugend habe ich mich für Umweltthemen interessiert und…» – und es würde sogar stimmen. Umwelt- und Naturschutz liegen mir schon sehr lange am Herzen, ich habe mich während der Schule und danach im Freiwilligen Ökologischen Jahr schon viel engagiert und mit Umweltproblematiken auseinandergesetzt. Tatsächlich habe ich aber erst nach meinem Psychologiestudium und dann während der Promotionszeit angefangen, mich mehr mit den psychologischen Grundlagen menschlichen Verhaltens zu beschäftigen. So konnte ich beides – Beruf(ung) und persönlich relevantes Thema zusammenbringen.
Wie erklären Sie sich das Phänomen, dass wir in Bezug auf das Klima dringend handeln müssen, aber so viele es trotzdem nicht tun (zum Beispiel Ernährung, Littering, Fliegen, komplette Gleichgültigkeit der Umwelt gegenüber)?
Das hat viele Gründe und das auch noch auf verschiedenen Ebenen: Auf individueller Ebene machen es uns Gewohnheiten schwer – wenn ich in meiner Familie überall mit dem Auto hingekarrt wurde oder es im Urlaub jedes Mal mit dem Flieger irgendwohin ging, dann muss ich solche Verhaltensmuster erstmal bewusst aufbrechen. Das ist sehr aufwendig. Ähnlich ist es mit dem Fleischkonsum. Hier brauchen viele Menschen einen akuten Anlass oder ein «window-of-opportunity», um gewohnten Fleischkonsum zu überwinden. Allerdings ist es falsch, die Verantwortung nur auf das Individuum zu schieben: Es wird uns aufgrund von Infrastrukturen, gesellschaftlichen Normen und gesetzlichen Regelungen an vielen Stellen immens erschwert, klima- und umweltschonend zu agieren. Wenn Fliegen (u.a. aufgrund von Subventionen) billiger ist als Zug fahren oder in der Kantine das Fleischgericht attraktiver ist als der labbrige Salat, dann macht es uns das nicht gerade einfacher.
Wie kann man dies aus psychologischer Sicht erklären?
In den meisten Umfragen geben Menschen an, dass ihnen Umwelt, Natur und Klima total wichtig sind – es liegt also eher weniger an fehlenden Umwelteinstellungen, vielleicht auch nicht immer an fehlender Motivation. Viel mehr fehlt uns oft das Gefühl von Wirksamkeit: Kann ich mit meinem Verhalten überhaupt etwas ändern? Die Antwort auf die Frage lautet natürlich: Ja – und zwar vor allem dann, wenn wir uns mit anderen Menschen zusammentun und damit kollektiv wirksam werden. Zudem spielen soziale Normen eine grosse Rolle. Wenn alle um mich herum Auto fahren und das gesellschaftlich als Standard gesetzt ist, dann mache ich das mit grösserer Wahrscheinlichkeit auch. Solche Normen zu durchbrechen kostet das Individuum viel Aufwand. Ähnliche psychologische Prozesse, oft unbewusst, laufen ab, wenn alle um mich herum mit dem Rucksack um die Welt jetten: Das gilt in unserer Gesellschaft als cool, weltoffen, lobenswert – dann will ich das natürlich auch machen!
Was muss sich beim Menschen ändern, dass er beginnt zu handeln? Oder muss der Leidensdruck erst so gross werden, obwohl es dann oftmals schon viel zu spät ist?
Auch hier: Es liegt ja nicht per se am einzelnen Menschen, auch wenn uns das Grosskonzerne und andere Lobbygruppen immer wieder vorgaukeln. Der Fehler liegt im System und es gibt Hebel auf politischer Ebene, die viel effektiver sind, als jetzt als Einzelner ständig die moralischen Grenzen auszuloten oder mit schlechtem Gewissen den To-Go Becher zu nehmen. An einem Systemwandel haben gerade die fossilen Unternehmen bisher natürlich wenig Interesse. Wir müssen beides schaffen: Menschen müssen Umwelt- und Naturschutz am Herzen liegen und sie müssen das Gefühl haben, etwas (gemeinsam) verändern zu können. Dieses Gefühl von Wirksamkeit kann die Politik wiederum stärken, indem sie etwa klimaschonendes Verhalten belohnt und klimaschädliches Verhalten erschwert, an manchen Stellen vielleicht sogar verbietet. Vor allem letzteres wäre an vielen Stellen auch äusserst gerecht, weil man sich selbst mit viel Geld nicht aus Verboten rauskaufen kann.
Wie kann man die Menschen am besten mit den wichtigen Informationen erreichen?
Das kommt darauf an, über welche Kanäle Menschen sich informieren. Viele Menschen lassen sich heute über soziale Medien erreichen und grade hier muss die Wissenschaft stark sein und bleiben, um Fehlinformationen und Rumgetrolle etwas entgegensetzen zu können. Aber auch über klassische Medien muss umfassender informiert werden. Dies gelingt bisher nur zum Teil, etwa wenn man sich vor Augen hält, dass die Börsennews selbstverständlich täglich im ÖRR (öffentlich-rechtlicher Rundfunk) präsentiert werden, Klimanachrichten und Handlungsmöglichkeiten aber nicht. Das muss sich, denke ich, dringend ändern. Auch müssen wir viel an der Kommunikation arbeiten: Temperaturen von 44°C werden oft immer noch mit einem netten Tag am Strand bebildert, was allerdings für die allermeisten Menschen nicht gerade Alltag ist.
Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf, dass eine grosse Umweltkatastrophe abgewandt werden kann?
Das können Modellierer*innen und Umweltwissenschaftler*innen sicherlich besser beurteilen. Aber aus meinem Grundverständnis würde ich ableiten, dass wir sofort – weltweit – dekarbonisieren müssen, Subventionen von fossilen Brennstoffen in erneuerbare Energien umleiten und das ganze sozial gerecht gestalten, so dass die Hauptverursacher*innen für die meisten Kosten aufkommen und finanzschwache Haushalte durch Umverteilung gestärkt werden.
Wir befinden uns im sechsten Massenaussterben, kann dies noch abgewandt werden? Wenn ja, wie?
Auch hier gibt es sicherlich kompetentere Menschen, die das beantworten können. Uns läuft förmlich die Zeit davon. Doch ich glaube, dass eine geschickte, mutige Politik zusammen mit einem zügigen Wertewandel weg von der Befriedigung kurzfristiger Konsumbedürfnisse hin zur Befriedigung psychologischer und gesundheitlicher Grundbedürfnisse das Ruder noch rumreissen könnte. Aber ob das gelingt? Das wäre (Fairtrade-)Kaffeesatzleserei.
Was kann jedes Individuum konkret für die Umwelt tun?
Prinzipiell hilft jeder Schritt: Weniger Strom verbrauchen, weniger Heizen, weniger fossile Brennstoffe nutzen im Bereich Mobilität und Konsum. Aber: Hier dürfen und können wir nicht aufhören. Als mündige Bürger*innen sind wir befähigt, die Politik in die Pflicht zu nehmen, durch Wahlen und Briefe an Abgeordnete unsere Stimmen bündeln, von der Politik aktiv den Schutz unserer Lebensgrundlagen und des Planeten einfordern. Das gelingt am besten, wenn wir nicht alleine agieren, sondern zusammen mit unseren Mitmenschen. Ich glaube, wir sind als Gesellschaft viel weiter, als die Politik denkt.
Bilder: P. Sittinger, Yool, © 2022 Filmcoopi AG
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