Tier im Recht (TIR) leistet seit 21 Jahren jeden Tag wertvolle Arbeit für den Schutz von Tieren. Weil mir Tiere besonders am Herzen liegen, wollte ich unbedingt eine Organisation vorstellen, die sich für das Wohl der Tiere einsetzt. Dementsprechend war ich sehr erfreut, dass sich TIR-Geschäftsleiter Dr. Gieri Bolliger* Zeit für ein Interview nahm.
Wieso hast du dich für die Fachrichtung Tierrecht entschieden?
Tiere und ihr Schutz waren mir immer schon ein grosses Anliegen. Während des ganzen Jura-Studiums wurde dies zwar nie thematisiert, kurz vor meinem Abschluss habe ich aber realisiert, dass der Tierschutz auch eine sehr wichtige rechtliche Komponente hat. Nach meinem Studium wollte ich mich dann auf diesen Bereich spezialisieren und habe meine Dissertation über das europäische Tierschutzrecht geschrieben. Und seit dem Jahr 2000 arbeite ich für Tier im Recht (TIR).
Woher kommt die Liebe zu den Tieren?
Die hatte ich immer schon, quasi von Kindesbeinen an. Ich bin mit Haustieren aufgewachsen, vor allem mit Katzen und Hunden. Die emotionale Zuneigung zu den Tieren habe ich nie verloren und irgendwann habe ich begonnen, mich generell für ihren Schutz einzusetzen. Das ist für mich ebenso wichtig wie sinnvoll – und ich empfinde es als grosses Privileg, dass ich meine Leidenschaft für den Tierschutz mit meinem Beruf als Jurist kombinieren kann.
Um welche Anliegen kümmert sich Tier im Recht?
TIR ist eine Tierschutzorganisation, die vor allem auf juristische Aspekte fokussiert. Wir machen keinen praktischen Tierschutz und haben zum Beispiel kein Tierheim, arbeiten aber natürlich sehr eng mit entsprechenden Organisationen zusammen. Unsere Kernkompetenz ist das Recht. Wir sind rechtspolitisch tätig, indem wir versuchen, die Gesetzgebung tierfreundlicher zu machen und dann darauf achten, dass diese auch konsequent umgesetzt wird. Hierfür schauen wir den Vollzugsbehörden auf die Finger und müssen diese nicht selten auch aufklären. So beispielsweise weiss man auf vielen Polizeiposten noch immer nicht, dass jeder Verstoss gegen das Tierschutzrecht ein sogenanntes Offizialdelikt ist. Das bedeutet, dass eine Behörde, wenn sie Kenntnis über einen solchen Fall hat, tätig werden muss, auch wenn keine Anzeige des Geschädigten vorliegt. In den meisten Tierschutzfällen sind die Täter und Eigentümer der Tiere ohnehin identisch, das heisst die Tiere werden von ihren eigenen Halterinnen oder Haltern gequält. Und die würden sich natürlich nie selbst anzeigen.
Ausserdem wollen wir die Gesamtgesellschaft für die Anliegen der Tiere sensibilisieren. Wir klären Tierhaltende über ihre Rechte als Tierbesitzer auf, vor allem aber auch über ihre vielfältigen Pflichten. Wir publizieren Fachliteratur über den richtigen rechtlichen und praktischen Umgang mit Tieren und erteilen jährlich über 1000 Auskünfte in tierrelevanten Rechtsfragen, so etwa wie man vorgehen soll, wenn man eine Tierquälerei beobachtet oder vermutet. Und ab und zu erstatten wir auch selber Strafanzeige.
Ist eure Arbeit nicht sehr belastend?
Doch, häufig ist sie das. In unserem Arbeitsalltag werden wir leider vor allem mit den negativen Seiten der Mensch-Tier-Beziehung konfrontiert. So haben wir beispielsweise viel mit Tierquälereien und anderen Tierschutzdelikten zu tun. Diese Dinge sind teilweise tatsächlich sehr belastend und nicht einfach zu verarbeiten. Anderseits geben sie uns tagtäglich die Gewissheit, dass nach wie vor sehr viel getan werden muss, bis die Tiere tatsächlich so achtsam behandelt werden, wie sie es verdienen. Weil sie sich nicht selber wehren können, machen wir uns für sie stark. Insgesamt ist es also viel harte Arbeit, die aber auch sehr erfüllend und schön ist, weil man damit etwas bewegen und den Schutz der Tiere bewirken kann.
Ich bin durch den schrecklichen Zoophilie-Fall im Aargau, bei dem ein Kälbchen sexuell missbraucht wurde, auf Tier im Recht aufmerksam geworden. Wie gehst du als Tierschützer mit solchen Nachrichten um?
Das sind sehr schlimme Sachen, bei denen die betroffenen Tiere enorm leiden. Da haben wir natürlich grosses Mitgefühl. Für unsere Arbeit wäre es aber nicht förderlich, wenn wir angesichts der vielen Missstände, mit denen wir laufend konfrontiert werden, völlig verzweifeln würden. Darum versuchen wir, die Emotionen so zu kanalisieren, dass keine blinde Wut, Aggression oder Frustration entsteht, sondern positive Energie, um die Dinge mit unseren juristischen Mitteln zu verbessern. Dieser Mechanismus funktioniert meistens recht gut, es ist aber natürlich nicht immer einfach. Vor allem dann nicht, wenn wir mit Umgangsweisen mit Tieren zu tun haben, die sowohl von unserer Gesellschaft als auch vom Recht grundsätzlich toleriert werden, wie etwa die Jagd und Fischerei, Tierversuche oder die Schlachtung von Tieren für die Nahrungsmittelproduktion. All diese Dinge sind erlaubt und gelten als selbstverständlich – aber es stellen sich trotzdem ethische Fragen, ob die entsprechende Nutzung und Ausbeutung von Tieren gerechtfertigt ist oder nicht.
Es wurde zwar gesagt, dass diese Zoophile-Tat ein Einzelfall war, was ich nicht glaube. Aber wie kann man als Halter seine Tiere besser schützen?
Es ist definitiv kein Einzelfall. Die Dunkelziffer von sexuellen Handlungen an Tieren ist mit Bestimmtheit recht hoch. Jeder Tierhalter hat die Pflicht, für seine Tiere zu sorgen und sie natürlich auch vor Gefahren zu schützen. Man kann zum Beispiel eine Kamera im Stall installieren. Hier wäre es definitiv einfacher die Überwachung sicherzustellen, als wenn die Tiere auf der Weide sind.
Gibt es für geschändete Tiere ebenfalls eine Art psychologische Betreuung? Oder wie wird solchen Tieren geholfen?
Ja, diese Möglichkeit gäbe es schon. Aber ich bezweifle, dass tatsächlich ein Tierpsychologe aufgeboten wird, wenn das Opfer kein Heimtier, sondern eben «nur» ein Nutztier ist. Ich weiss nicht, wie lange das Kalb überhaupt leben darf und ob es nach ein paar Monaten nicht ohnehin geschlachtet würde. Klar ist, dass der Übergriff nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Belastung darstellen und ein betroffenes Tier schwer traumatisiert sein kann.
Weisst du, wie es dem Kälbchen heute geht?
Nein, wir haben unsere Informationen auch nur aus den Medien.
Interessant ist auch, dass die Medien jetzt so auf diesen Fall angesprungen sind.
Ja, aber es ist auch nicht untypisch. Für die Medien ist solch ein Fall spektakulär und Sex mit Tieren ein guter Aufhänger. Trotzdem bleibt Zoophilie letztlich noch immer ein Tabuthema. Man will nicht wahrhaben, dass es dies tatsächlich gibt – und vor allem nicht in grossem Ausmass.
Weisst du, ob es Fortschritte in dem Fall gibt? Würden die Behörden mir Auskunft geben, wenn ich anrufe?
Ich weiss nicht, ob und wie stark ermittelt wird. Die Täterschaft ist angeblich ja unbekannt. Aber es wurde ein Gürtel im Stall gefunden, und auch am betroffenen Kalb konnten vielleicht Spuren des Täters festgestellt werden. Wäre ein toter Mensch in dem Stall gefunden worden, hätte man sicher alle Hebel in Bewegung gesetzt. Aber ruf doch mal bei der Polizei an, vielleicht geben sie dir ja Auskunft.
Ich habe bei der Polizei nachgefragt und das Verfahren ist tatsächlich am Laufen. Welche Strafe erwartet den Täter?
Zoophilie gilt in jedem Fall als Tierquälerei und ist daher mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer hohen Geldsumme bedroht. In der Praxis werden aber kaum je wirklich hohe Strafen ausgesprochen. Meistens bewegen sie sich in einem symbolischen Bereich von wenigen hundert Franken und werden nur bedingt ausgesprochen, sodass gar nichts bezahlt werden muss. Den oftmals erheblichen Schmerzen, Leiden und Schäden der Tiere ist das natürlich überhaupt nicht angemessen. Zudem haben solch milde Strafen natürlich auch keine abschreckende Wirkung.
Wie kann man diese Mängel im Vollzug verbessern?
Mit einer Statistik, die wir jedes Jahr veröffentlichen, leisten wir da einen wichtigen Beitrag. Wir analysieren jedes Jahr den Vollzug des Tierschutzstrafrechts, also die Verfolgung und Bestrafung von Tierschutzdelikten in der ganzen Schweiz und verfassen hierüber ein umfassendes Gutachten. Damit können wir beweisen, wie tief die Strafen in aller Regel sind. Ganz langsam findet bei den zuständigen Behörden ein Umdenken statt und reift das Bewusstsein für einen konsequenteren Vollzug des Tierschutzrechts. Aber es gibt auch hier noch immer sehr viel zu tun.
Merkst du, dass die Gesellschaft sich im Verhalten gegenüber dem Tier gebessert hat? Sind die Menschen aufmerksamer geworden?
Ich glaube, dass hier einiges im Fluss ist. Wir wissen immer mehr über die Tiere und ihre natürlichen Bedürfnisse. Dadurch wächst in unserer Gesellschaft das Bewusstsein, dass Tiere empfindungsfähige Mitgeschöpfe sind, die der Mensch achten und schützen sollte. Und das spiegelt sich auch im Gesetz wider. Beispielsweise sind Tiere rechtlich gesehen keine Sachen mehr, ihre Würde ist ausdrücklich geschützt und gewisse Umgangsformen sind klar verboten. Auf der anderen Seite werden heute wohl so viele Tiere genutzt und ausgebeutet wie nie zuvor, sei dies für die Forschung, den Sport, die Unterhaltung oder natürlich für die Nahrungsmittelproduktion. Da haben wir als Gesellschaft noch ein riesiges Potential, um den Umgang mit den Tieren zu verbessern.
Wie kann ich mich als Privatperson am sinnvollsten für Tiere einsetzen?
Da gibt es viele Möglichkeiten. Einerseits kann man durch Spenden oder Freiwilligenarbeit Organisationen unterstützen, die sich professionell für das Wohl der Tiere einsetzen. Anderseits kann man im persönlichen Bereich viel bewirken, indem man mehr Bewusstsein für die Anliegen von Tieren entwickelt und schrittweise seine Gewohnheiten und sein Verhalten ändert. Und natürlich ist es auch erlaubt und sinnvoll, in seinem Bekanntenkreis auf diese Überlegungen hinzuweisen, solange dies nicht in missionarischer Weise geschieht. Es gibt also viele Möglichkeiten, etwas für die Tiere zu tun. Ich selbst bin seit 25 Jahren Vegetarier und bemühe mich seit etwa drei Jahren, weitestgehend vegan zu leben. Seit 1994 befasse ich mich auch beruflich sehr intensiv mit der Mensch-Tier-Beziehung und habe in dieser Zeit sehr viele Dinge im Umgang mit Tieren gesehen, mit denen ich nicht einverstanden bin. Letztlich ist der Verzicht auf Tierprodukte für mich eine logische Konsequenz dieser Überlegungen. Und ich freue mich darüber, dass der Vegetarismus und Veganismus zunehmend salonfähig werden. Immer mehr Menschen machen sich Gedanken zum Umgang mit Tieren und stellen sich grundsätzliche ethische Fragen nach der Zulässigkeit bestimmter oder aller Nutzungsformen. Es findet also ein erfreuliches Umdenken statt, und zwar zugunsten der Tiere.
Was hältst du von den Leuten, die zwei Wochen vegan sind, nur um damit zu prahlen?
Mir sind natürlich jene lieber, die aus Überzeugung und langfristig auf Tierprodukte verzichten. Doch auch jemand, der nur für kurze Zeit dem Trend aufspringt und lediglich für einige Wochen seine Essgewohnheiten ändert, hat letztlich dafür gesorgt, dass ein paar Tiere weniger gequält und getötet wurden.
Welche schönen Momente deiner Arbeit sind besonders in Erinnerung geblieben?
Besonders schön ist es natürlich, wenn wir mithelfen können, Gesetzesbestimmungen zugunsten der Tiere zu verbessern, also beispielsweise tierschutzwidrige Umgangsformen zu verbieten. Damit helfen wir nicht nur einzelnen, sondern auf einen Schlag einer grossen Anzahl von Tieren, und dies auch noch langfristig und somit sehr nachhaltig. Tierschutz im Einzelfall ist selbstverständlich ebenfalls sehr wichtig, doch mit der Hebelwirkung des Rechts haben wir die Möglichkeit, sehr vielen Tieren auf einmal zu helfen.
*Dr. Gieri Bolliger (48) ist Rechtsanwalt und seit 2007 Geschäftsleiter von Tier im Recht (TIR). Er hat zwölf Bücher zum nationalen und internationalen Tierschutzrecht veröffentlicht, an unzähligen Kongressen im In- und Ausland zu juristischen Aspekten der Mensch-Tier-Beziehung referiert und besitzt seit 2005 einen Lehrauftrag für Tierschutzrecht an der Universität Zürich. 2014 hat er als weltweit erster nicht-amerikanischer Jurist den Titel „Master of Laws (LL.M.) in Animal Law“ am Center for Animal Law Studies (CALS) in Portland (Oregon/USA) erlangt.
Tier im Recht (TIR) ist eine gemeinnützige und unabhängige Tierschutzorganisation, die sich seit 1996 beharrlich für eine kontinuierliche Verbesserung der Mensch-Tier-Beziehung engagiert. Mit ihrer umfangreichen publizistischen Tätigkeit und ihrem breiten Dienstleistungsangebot gilt TIR seit vielen Jahren als Kompetenzzentrum für Fragen zum Tier in Recht, Ethik und Gesellschaft. Mehr Infos gibt es unter www.tierimrecht.org
Bilder: © Jos Schmid
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