Interview mit Daniel Hellmann

Daniel Hellmann (35) aus Zürich, wohnt mittlerweile in Berlin und ist ein vielseitiger Künstler. Am Dienstag, 24. November startet sein Programm «Dear Human Animals» in der Gessnerallee in Zürich. Als Soya the Cow berührt er das Herz, wenn er seine kraftvollen Lieder singt. Wie er zur Idee der Drag-Cow kam, wieso ihm alle Tiere (auch die Menschen) so am Herzen liegen und was er sich für die Zukunft wünscht, erzählt er mir im Interview.

Bild von Daniel Hellmann, Soya the Cow

Daniel habe ich im jüdischen Jugendbund vor ca. 20 Jahren kennenglernt. Später besuchten wir auch das gleiche Gymnasium. Facebook sei dank, habe ich immer wieder Eindrücke seiner Arbeit bekommen und als er am ersten veganen Festival im Zürcher Hauptbahnhof auftrat, hat er mich mit seinem Gesang tief berührt. Vielen Dank Daniel für das schöne Interview.

Was ist dein Werdegang?
Ich bin in Zürich aufgewachsen, habe als Kind bereits viel Musik gemacht und Theater gespielt. Nach einem kurzen, abgebrochenen Philosophiestudium, wo ich mich hauptsächlich mit ethischen Fragen rund um Leben und Tod beschäftigt habe, bin ich nach Lausanne gezogen, um dort Gesang zu studieren. Bereits da habe ich aber gemerkt, dass ich meine eigenen Geschichten erzählen will und habe darum auch noch Theater und Performance studiert. Seither mache ich meine eigenen Tanz- und Theater-Projekte, in wechselnden Kollaborationen mit vielen spannenden Künstler*innen.

Wie kamst du auf die Idee zur Drag-Cow?
Ich bin 2016 während meiner Recherche für ein Tanz-Stück über Fleisch durch die Lektüre von Hilal Sezgin’s Buch «Artgerecht ist nur die Freiheit» vegan geworden. Das Stück «Requiem for a piece of meat» ist eine Totenmesse in Gedenken an alle namenlosen, getöteten Opfer der Tierindustrie. Das Stück wurde sehr gemischt aufgenommen, es wurde von einzelnen Theatern sogar zensuriert. Ich war extrem frustriert und sehnte mich danach, einen künstlerischen Ausdruck zu finden, in dem alle meine Gefühle als veganer Mensch in einer nicht-veganen Welt Platz finden können – von Trauer zu Wut zu Hoffnungslosigkeit. Die Idee für Soya the Cow entstand während einer Künstlerresidenz in San Francisco. Ich war total inspiriert von den lokalen Drag Kings und Queens und ihren politischen Performances, wie auch von Aktivist*innen von Direct Action Everywhere, welche mir eine Road Map vorgestellt hatten, wie wir in einer Generation Tierbefreiung erreichen können. Plötzlich war dieses Bild vor mir: Eine Drag Kuh, welche für Lebensfreude und Freiheit für alle Wesen einsteht, für Klimagerechtigkeit und ein friedliches Zusammenleben aller Arten.

Woher holst du dir Inspiration für deine Kostüme?
Für die Masken und Kostüme arbeite ich mit verschiedenen Künstler*innen und Designer*innen zusammen. Manchmal gehe ich aber auch einfach auf einen Flohmarkt und bastle etwas zusammen, aus den Kleidern, die ich dort finden kann. Soya the Cow ist gewissermassen auch ein Chamäleon. Durch die verschiedenen Outfits und Looks transformiert sie sich immer wieder neu. Damit will ich auf spielerische Weise vorleben, dass wir uns auch als Gesellschaft weiterentwickeln und verändern können.

Bild von Daniel Hellmann, Soya the Cow

Trittst du auch als Daniel oder andere Charaktere auf?
In meinem neuen Theaterstück «Dear Human Animals» trete ich als Soya the Cow auf, aber natürlich ist Daniel auch immer präsent. Letztlich verbirgt sich hinter den ganzen Kostümen natürlich ein Mensch und keine Kuh, und das wissen die Zuschauer*innen ja auch. Stattdessen sehen sie einen Menschen, der sich als Kuh verkleidet, weil er den Status quo unserer Welt anders nicht aushalten kann.

Schreibst und komponierst du die Lieder selbst?
Ich habe die Musik von Soya the Cow mit dem Musikproduzenten und Komponisten Philipp Constantin gemeinsam entwickelt. Er macht auch die Musik fürs Theaterstück «Dear Human Animals» und uns verbindet eine langjährige Freundschaft. Meistens spielen wir Pingpong mit musikalischen Ideen und tasten uns langsam vor, bis wir einen Song haben, mit dem wir beide zufrieden sind.

Woher nimmst du die Inspiration dazu?
Ich versuche bei meinen Liedern nach Themen zu finden, die mehrdeutig sind und einerseits von Tieren sprechen, andererseits aber auch von menschlichen Erfahrungen. In «Purple Grass» geht es zum Beispiel um eine Kuh, die ihr ganzes Leben eingesperrt ist und davon träumt, wie die Welt draussen aussieht. Es geht in dem Lied aber auch um Menschen, die sich danach sehnen, frei zu sein, z.B. weil sie nicht gerne in ihrer Wohnung eingesperrt sind. «Soy Much» hingegen ist ein Liebeslied für meinen Partner. Ich hatte mich in ihn verliebt, als ich gesehen hatte, wie er mit seiner Katze Polly gespielt hatte. Zum Glück gibt es auch liebevolle Beziehungen zwischen Menschen und anderen Tieren.

Bild von Daniel Hellmann, Soya the Cow

Woher kommt die Liebe zu den Tieren?
Bereits als Kind war ich unglaublich fasziniert von der Vielseitigkeit der Tierwelt. Oft habe ich mich anders und ausgeschlossen gefühlt, und es hat mir Mut gemacht, von all den verschiedenen Tieren zu lernen, welche eigene Fähigkeiten und Interessen haben. Ich hatte immer ein sehr starkes Gerechtigskeitsempfinden und war auch von klein an politisch engagiert. Für mich ist der Kampf für die Beendigung der Tierausbeutung eine logische Konsequenz der verschiedenen Emanzipationsbewegungen der vergangenen Jahrhunderte. Was den nicht-menschlichen Tieren heute angetan wird, ist ein elendes Unrecht. Man muss Tiere nicht einmal lieben, um zu erkennen, dass es nicht in Ordnung ist, sie so zu misshandeln, wie es heute leider gang und gäbe ist.

Wie tankst du Kraft, bei all dem Tierleid, dass du siehst?
Ich nehme mir Auszeiten in der Natur, koche leckere, vegane Mahlzeiten oder verbringe Zeit mit Freund*innen, die ein ähnliches Weltbild teilen. Es ist mir ganz wichtig, ein fröhlicher Mensch zu bleiben. Ich wünsche ja, dass alle Tiere (auch Menschen) frei sind, damit wir uns am Lebendigsein erfreuen können, nicht damit wir leiden.

Bild von Daniel Hellmann, Soya the Cow

Wichtig ist mir auch, dass ich immer wieder einen Lebenshof besuchen kann, z.B. Hof Narr in Egg oder Coexister in der Romandie. Die Begegnungen mit den Tieren dort und mit den Menschen, welche diese Orte ermöglichen, geben mir Kraft, mich weiter zu engagieren. Und sie lassen mich von einer anderen Zukunft träumen.

Was wünscht du dir von den Menschen?
Die menschliche Spezies hat es geschafft, das Leben auf der Erde vollständig aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Zeit drängt, wir müssen sehr schnell lernen, nachhaltig auf diesem Planeten zu leben. Und die Tierindustrie muss abgeschafft werden – fürs Klima, für unsere Gesundheit, für die Gesundheit unseres Planeten, zur Beseitigung von unnötigem Leid und zur Beseitigung von unnötigen Risiken von neuen Pandemien. Die Gründe sind glasklar. Ich wünsche mir, dass die Menschen und die Politik jetzt wagen, umzudenken. Dass wir unser Ernährungssystem umgestalten und es schaffen, eine Welt aufzubauen, in der wir uns mit Respekt, Mitgefühl und Freundlichkeit begegnen.

Bild von Daniel Hellmann, Soya the Cow und Daphne Chaimovitz

Alle Links zu Soya the Cow
* www.daniel-hellmann.com/de/projects/soya
* www.facebook.com/soyathecow
* www.instagram.com/soyathecow
* www.gessnerallee.ch/de/event/378/Daniel_Hellmann_Soya_the_Cow_Dear_Human_Animals

Bilder: Rianon Vran, Olivia Schenker, Mayra Wallraff, Gregory Batardon, Daphne Chaimovitz

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