Die beiden Schauspieler Dimitri Stapfer (32) und Burak Ates (26) sind die Hauptdarsteller des Films «Beyto». Der Film handelt von einer gleichgeschlechtlichen Liebe, die nicht toleriert wird. Dimitri ist schon seit dem Teenageralter Schauspieler, für Burak war es die erste Rolle überhaupt. Als wir uns zum Interview im Café Züri Brot treffen, fällt mir sofort die brüderliche Freundschaft auf. Es ist schön zu sehen, wie ein Film die Darsteller so verbinden kann.
Wie es für Dimitri war mit einem Neuling zu drehen, welche Rolle Burak als nächstes spielen möchte, welche Botschaft die Zuschauer mit nach Hause nehmen sollten und wie sich die Beiden konkret für die Umwelt und die Nachhaltigkeit engagieren, berichten sie mir im Gespräch.
Haben deine Eltern mittlerweile den Film gesehen?
Burak: Meine Mutter hat den Film gesehen, war aber nicht so zufrieden. Sie ist in der Türkei aufgewachsen und kennt die Homosexualität gar nicht. Sie konnte nicht verstehen, weshalb ich bei dem Film mitgemacht habe. Aber irgendwann wird sie es sicher.
Aber sie unterstützen jetzt deine Schauspielkarriere?
Burak: Zukünftige Filme schon. Ich soll einfach nicht mehr solche Filme drehen.
Dimitri: Bei «Beyto 2» würdest du schon mitmachen?
Burak: Sofort, mal schauen, ob es einen zweiten Teil gibt.
Welche Botschaft möchtest du, dass die Zuschauer mit nach Hause nehmen?
Burak: Sie sollen die Realität anerkennen. Ich kenne Menschen, die sogar schlimmeres erlebt haben als Beyto. Jemand wurde für drei Monate in die Türkei geschickt, dass er «normal» wird.
Dimitri: So macht man die Menschen psychisch kaputt.
Burak: Genau, die Leute sollen endlich verstehen, dass Homosexualität normal ist und man sie nicht verfluchen soll. Schlussendlich sind wir alle Menschen und es geht um das schönste Gefühl – die Liebe. Die sollte man doch ausleben können, wie man will.
Dimitri: Ich kann mich Burak nur anschliessen. Man muss sich bewusst sein, dass man mit einer Einstellung, die so viele Grenzen zieht, Menschen grundlos aus der Gesellschaft ausschliesst und ihnen das Leben zur Hölle macht. Ich wünsche mir, dass die Zuschauer durch Beyto die Möglichkeit haben aus ihrem geformten Weltbild auszutreten.
Was glaubst du, braucht es, damit sich deren Sichtweise beginnt zu ändern?
Dimitri: Es sind so tiefe gesellschaftliche und religiöse Strukturen, es hat so viel mit dem zu tun, wie man aufgewachsen ist. Es ist noch ein langer Weg, auch in der Schweiz, obwohl wir das Gefühl haben, wir sind eine offene und freie Gesellschaft. In der Coronazeit gab es zwar weniger Übergriffe auf die LGBTQ-Community, aber auch nur, weil wir nicht so viel draussen waren. Bevor «Beyto» Ende Oktober 2020 in die Kinos kam, gab es wöchentlich immer noch Schlagzeilen von Angriffen auf Homosexuelle. Da müssen wir als Gesellschaft dranbleiben, Aufklärung und Präventionsarbeit leisten.
Durch den Lockdown wurde uns auch bewusst gemacht, wie wertvoll gewisse Dinge sind. Für was seid ihr besonders dankbar?
Dimitri: Ich habe es genossen, dass es einfach mal still ist, dass der Druck und Zahnräder des Alltags mal stillstehen. Ich habe zu mir und zur Ruhe gefunden, konnte mich wieder einmal langweilen und den Müssiggang entdeckt. Aus der Ruhe ist enorm viel Kreativität entstanden. Ich gab in der Coronazeit mein erstes Filmregiedebut! Ohne Corona wäre das nicht passiert. Benjamin Burger kam auf mich zu, weil sein Soloperformance-Stück «Das MAddock Manifest» abgesagt wurde. Er kam mit dem Skript zu mir und fragte, ob wir daraus nicht eine Filmadaption machen wollen und ich den Posten der Regie übernehmen möchte. Wir haben eine kleine, professionelle Crew zusammengestellt unteranderem mit dem Kameramann Simon Bitterli sowie dem Editor Wolfgang Weigl (der auch «Frieden» geschnitten hat). Wir waren ein super cooles Team und konnten die Produktionsfirma Lomotion AG (die auch «Beyto» Produziert hatte) mit an Board holen. Wir sind jetzt mitten in der Postproduktion und ich hoffe, dass der Langspielfilm im September fertig gestellt ist.
Willst du weiter Regie führen?
Mal schauen, wie der Film wird (lacht). Ich habe im Theater immer mal wieder Regie geführt. Die Rolle ist mir nicht fremd. Das Neue war das Medium Film. Mir hat es enorm Spass gemacht und ich möchte es sicher weiterverfolgen. Ich lasse es auf mich zukommen.
Burak, wie war das Corona-Jahr für dich?
Mein Leben hat sich komplett verändert. Nach den Dreharbeiten von «Beyto» habe ich begonnen Schauspielerei zu studieren. Ich war zwar mitten im Wirtschaftsinformatikstudium, aber irgendwann hat es für beides nicht mehr gereicht. Somit habe ich das ganze 2020 ins Schauspielstudium gesteckt. Zum Glück hatten wir auch Unterricht. Ich treibe auch sehr viel Sport, dies konnte ich auch nicht mehr machen, weil das Crossfit Center zu machen musste. Ich hoffe sehr, dass ich davon profitieren werde, meine ganze Zeit in die Schauspielerei gesteckt zu haben.
Gerade durch das Zuhause bleiben hat sich die Umwelt auch wieder begonnen zu erholen. Engagiert ihr euch für die Umwelt und die Nachhaltigkeit?
Dimitri: Ich bin schon immer bewusst mit der Umwelt umgegangen. Es ist für mich schon lange ein grosses Thema. Corona ist im Gegensatz zur Klimakatastrophe, die auf uns zukommen kann, viel das kleinere Übel. Wie schnell wir unser Leben ändern und politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich handeln konnten, hat mich sehr beeindruckt. Ich wünsche mir sehr, dass wir dieses Bewusstsein beibehalten. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir dies auch schaffen, um den Klimawandel so zu reduzieren, dass wir alle noch eine Zukunft vor uns haben.
Was machst du konkret?
Dimitri: Ich bin kein grosser Käufer, ich nutze zum Beispiel meine Kleidung bis sie ausgetragen ist und gebe mich nicht dem krassen Konsum hin. Bei der Ernährung und beim Lebensmitteleinkauf schaue ich auf lokale Produkte und verwende so wenig Plastik wie möglich. Ich koche viel selbst, wenn ich noch Fleisch esse, dann nur Bio. Auch die kleinen Sachen, die man als Kind auf den Weg mitbekommt, dass man seinen Müll nicht in der Natur rumliegen lässt! Ich kann natürlich in meinem Beruf nicht vollkommen auf das Fliegen verzichten, aber sonst fahre ich, wenn immer möglich mit dem ÖV.
Burak?
Ich kann mich dem nur anschliessen.
Ach ja? Ich habe gelesen, dass du drei Mal pro Woche Kebab ist (zwinkert).
Burak: Nicht mehr so oft. Seit ich in Zürich wohne und Student bin, esse ich weniger Fleisch. Ich esse jetzt sehr viel grünes Zeugs, was für mich ein krasser Unterschied ist zu früher. Meine Mutter kocht jeden Abend Fleisch und jetzt esse ich oft Salat mit Erbsen oder Linsen. Ich merke, dass diese Ernährungsumstellung mir aber gut tut. Ich habe mir auch schon überlegt, mich einmal im Monat eine Woche lang nur vegetarisch zu ernähren. Dann ist mir aufgefallen, dass ich dies unbewusst schon gemacht habe. Ganz auf vegetarisch oder vegan umzustellen, werde ich aber nicht.
Hast du durch die Ernährungsumstellung Auswirkungen auf deine sportliche Leistung bemerkt?
Bis ich das richtige Mengenverhältnis gefunden habe, brauchte es ein wenig Zeit. Wenn du zu wenig isst, kannst du nicht die gleiche Leistung erbringen. Jetzt stimmts.
Wenn du dir die nächste Rolle wünschen könntest, was würdest du spielen?
Burak: Etwas Cooles. (Dimitri lacht). Eine Schweizerproduktion wäre cool. Nach «Beyto» habe ich in drei Kurzproduktionen mitgespielt und verschiedene Sets gesehen. Schweizerproduktionen sind sehr familiär und ich möchte gerne weiterhin in der Schweiz drehen. Am liebsten wieder einmal mit Dimi!
Dimitri: Er will mich nur wieder küssen. Mittlerweile bekommt er nicht genug von meinen Küssen (lacht).
Burak du hast erzählt, dass du Emotionen auf Gegenstände gespeichert hast und sie durch die Berührung direkt abrufen konntest. Wer hat dir diese Technik gezeigt?
Während den Proben hatten wir eine Kaffeemaschine. Dort lagen komische Gegenstände rum, ein Glöckchen nahm ich zu mir. Während dem Skriptlesen hatte ich unbewusst das Glöckchen immer bei mir. Dann habe ich gemerkt, dass der Gegenstand mit Emotionen geladen ist. Das Glöckchen und weitere Gegenstände habe ich dann immer zum Dreh mitgenommen. Kurz vor der Premiere haben Dimi, Serkan (spielt Beytos Vater) und ich uns auf einen Kaffee getroffen. Dimi nahm sein Feuerzeug raus und sagte, du nimmst das und speicherst darauf deine Emotionen. Ich war völlig perplex, weil ich es ja schon gemacht habe. Ich habe es nachgeschlagen. Ich lese enorm viel zurzeit. Ich glaube Michael Tschechow hat diese Methode entwickelt, aber ich habe sie selber für mich entdeckt.
Du hast schon jung angefangen mit der Schauspielerei. Wie haben dich diese Rollen geprägt, für die Auswahl zukünftiger Rollen?
Dimitri: Für mich sind die Menschen das Wichtigste, mit denen ich zusammenarbeite. Du kannst aus einem schlechten Drehbuch mit den richtigen Leuten ein grossartiges Werk machen. Wenn die Chemie stimmt, kann man gemeinsam einen kreativen Prozess durchlaufen und mit wenigen Mitteln so viel gestalten. Das Gegenteil gibt es natürlich auch. Du hast ein cooles Drehbuch, aber mit den falschen Leuten wird der Dreh zu einem Horrortrip. Ich orientiere mich mehr nach meinem Gefühl für die Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten werde. Haben sie Visionen, Energie, lassen sie sich auf Diskussionen ein und kann man kreativ miteinander arbeiten. Das ist für mich das Spannende an diesem Beruf. Jede Rolle hat so viel zu bieten. Aus jeder Rolle kannst du etwas für dich mitnehmen. Jedes Mal, wenn du auf der Bühne oder vor der Kamera bist, gibst du 100% und hast 100% Präsenz. Dies musst du jedes Mal abliefern, auch wenn du nur einmal zur Tür hereinkommst.
War für dich seit klein klar, dass du Schauspieler werden wolltest?
Als ich elf war, habe ich den Freilichtzirkus Chnopf zum ersten Mal gesehen, mit seinen alten Holzwagen und Oldtimertraktoren. Meine Eltern haben dann schnell begriffen, dass ich voll fasziniert von der Zirkuswelt war und haben mich gefragt, ob ich an ein Casting beim Zirkus gehen möchte. Mit 13 haben sie mich genommen und ich war für zwei Saisons im Zirkus Chnopf dabei. Ich habe in einem dieser schönen Holzwagen gewohnt, musste schauen, dass er geheizt wurde, musste meine Wäsche waschen und wurde unteranderem dadurch relativ früh selbständig. Gleichzeitig hatte ich so eine freie Jugend in dieser Zirkuswelt. Diese Zeit hat mich enorm geprägt. Wir sind in der ganzen Schweiz herumgefahren und haben überall unser Lager und die Zirkusbühne aufgebaut. Da wurde in mir das Feuer entfacht und bald war klar, dass ich ein Schauspielberuf ausüben möchte. Danach war ich im Jugendtheater, mit 16 spielte ich im Neumarkttheater mit Profis, machte die Schauspielschule an der ZHdK und jetzt bin ich da, wo ich bin.
So ein schöner Werdegang, auch dass deine Eltern dich unterstützt haben, freut mich sehr.
Und bei dir Burak war die Schauspielerei auch schon seit klein ein Traum?
Meine Mutter schaut praktisch jeden Abend türkische Serien. Ich habe immer wieder gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, mich im Fernsehen zu sehen. Sie meinte dann, es wäre schon schön, aber sehr schwierig. Ich hatte es immer im Hinterkopf. Nach meiner Lehre wollte ich im 2015 an die ZHdK, doch meine Mutter wurde krank und deswegen habe ich die Berufsmaturität abgebrochen. Aber ich habe meinen Wunsch nie vergessen, nur archiviert. Als mein Crossfit-Trainer mich auf das Casting aufmerksam gemacht hatte, wusste ich, dass ist meine Chance.
Du kommst ja eigentlich vom Theater, was fasziniert dich daran?
Dimitri: Im Theater hast du viel Zeit, um zu proben. Meine Theaterarbeiten haben mich super auf das Spiel vor der Kamera vorbereitet. Ich lernte mit Menschen auf der Bühne zu stehen, aufeinander zu Achten, zu spielen und den Theaterraum mit Texten und Emotionen zu füllen. Das Spannende ist, dass das Theater erst fertig geprobt ist, wenn das Publikum Platz genommen hat. Die Geschichte beginnt erst dann zu leuchten, wenn sie sich mit der Energie des Publikums und des Ensembles vereint. Du bekommst eine direkte Rückmeldung, dass finde ich unfassbar faszinierend. Eine Theaterausbildung und viel Theater zu spielen, schärft deine Wahrnehmung enorm. Du hast die Geschichte, die Schauspielkollegen, das Licht, die Requisiten, die Bühnentechniker, vorne das Publikum, du bist von Leben und Bewegung umgeben, immer präsent und stehst nie still. Das fasziniert mich am Schauspiel: Du bleibst nie stehen, du setzt dich immer mit der Rolle und der Geschichte auseinander und somit auch mit dir selbst. Hinterfragst deine persönliche Gedanken und Einstellungen, weil du mit jeder Rolle wieder etwas Neues lernen kannst.
Möchtest du auch im Theater Fuss fassen?
Burak: Ich möchte mich sicher zuerst einmal auf den Film konzentrieren. Wenn ich dann genug Erfahrung habe und sicher bin, wieso nicht. Als Schauspieler würde es mir sicher gut tun, um noch stärker und besser zu werden.
Dimitri: Im Theater darfst du sehr viele Fehler machen, aus Fehler lernen und dich dadurch viel mehr ausprobieren. Im Film hingegen geht alles viel schneller, weil du fast nie die Möglichkeit hast, lange zu proben. Wenn du beim Film einen schlechten Tag hast, dann ist das im Kasten. Aber diese Herausforderung auf Action, auf diesen einen Moment wo die Kamera läuft alles abzuliefern gibt mir auch einen gewissen Kick und macht mir Riesenspass. Beim Theater hast du jedoch bei jeder Vorstellung immer wieder eine neue Chance, das Stück und die Figur neu zu greifen. Aber ja, mach du zuerst einmal Film (lacht).
Burak: Zuerst mach ich mal die Schule fertig (grinst).
Dimitri: Genau, das ist wichtig. Vielleicht hast du dann ganz andere Erfahrungen. Ich kann ja nur von meinen reden. Das ist ja bei jedem Schauspieler auch anders.
Bilder: Daphne Chaimovitz, Timo Orubolo, Garrick J. Lauterbach, Deniz Simsir, FRENETIC FILMS
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