Durch das gemeinsame Interview, dass ich mit Regisseur Hans Steinbichler (56) und den Schauspielern August Zirner (67), Stefan Gorski (32) und Julia Franz Richter (32) des Films «Ein ganzes Leben» führen durfte, entstand eine wunderschöne Dynamik. Dieser Film berührt nicht nur durch die atemberaubende Landschaft, sondern auch durch die eindrückliche Geschichte des Protagonisten Andreas Egger.
Wieso wollest du das Buch «Ein ganzes Leben» von Robert Seethaler verfilmen?
Hans: Robert Seethaler ist auch Schauspieler und weil er endlich mal eine gute Rolle haben wollte, hat er 2005 ein Drehbuch mit einer Rolle für sich geschrieben. Aus diesem Drehbuch habe ich den Film «Die zweite Frau» gemacht. Dies war der Beginn von Roberts Schriftstellerkarriere, weil er aus dem Drehbuch auch den Roman «Die weiteren Aussichten» verfasst hat. «Ein ganzes Leben» ist eine Abbildung dessen, was ich sehr lange auch selbst erlebt habe. Ich bin de Sohn eines schriftstellenden Bergjournalisten und war sehr lange in den Bergen. Für mich ist «Ein ganzes Leben» Berge in Essenz, die Erschliessung der Berge und wie dieser Mensch Egger durch dieses Jahrhundert geht.
Wie schnell hast du die Schauspieler gefunden?
Hans: Ich war gerade am Drehen, habe aber gleichzeitig schon nach dem Schauspieler für Egger gesucht. Zwei Jahre vor dem Dreh habe ich Stefan Gorski gefunden. Dann begann die Suche nach seiner grossen Liebe Marie und dem Egger, der gefühlt 65 Jahre alt sein wird. Es war schon eine lange Zeit.
War es dir wichtig, dass eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen Egger Schauspielern besteht?
Hans: Wir haben nicht nach einer physischen Ähnlichkeit geschaut, also ob Backen oder Wangen ähnlich waren. Es ging mir bei Stefan und August darum, dass sie die gleiche Wärme und das gleiche emotionale Gefühl transportieren. So haben wir es auch im Film gemacht. Da gibt es diesen einen Schuss, wo der mittlere Egger Stefan verschwindet und August übernimmt, ohne dass es einen Bruch gibt. Es ist die Art der Beiden, die verschwistert.
Was war ausschlaggebend, dass ihr diese Rollen verkörpern wolltet?
Stefan: Ich habe das Buch vor dem Casting gelesen und einen intuitiven Zugang zu diesem Menschen gespürt. Er ging mir nicht nur wahnsinnig nahe, in dem was er erlebt, sondern auch wie er ist. Dies wollte ich unbedingt porträtieren und ich freue mich sehr, dass ich es machen darf.
August: Hans und ich kennen uns schon relativ lange und ich dachte immer, wann arbeiten wir endlich mal zusammen, aber der Anruf kam nicht (zwinkert). Die gute Zusammenarbeit während diesem Film hat sich schon vor 15 Jahren angekündigt.
Hans: Manchmal dauert es so lange, man weiss zwar, es wir stattfinden, aber nicht wann.
August: Als die Anfrage von Hans kam, kannte ich den Roman noch nicht. Dann habe ich schnell den Roman und das Drehbuch gelesen und wusste, der Hans kann das. Ich fands auch sehr lieb, dass er mir diese Rolle anbietet, aber vielleicht meinte er eher den Vater des Ganzen (alle lachen), weil eigentlich bin ich nicht dazu prädestiniert, einen Tiroler Bergbauern zu spielen. Aber der Hans bestand darauf und ich bin auch froh darüber, weil, es steckt mehr Tiroler Bergbauer in mir, als ich geahnt habe.
Julia: Ich hatte viele Gründe, weshalb ich die Rolle interessant fand. Ich war noch nie Teil einer Romanverfilmung und dieses ganze Werk in ein Drehbuch und in einen Film zu packen, fand ich sehr spannend. Von Hans Arbeit hatte ich schon viel gehört und kannte Stefan von der Uni, dies alles hat sich so richtig angefühlt. Während dem Casting wollten sie in Tirol einen Gletscher abtragen, um dort ein Skigebiet zu errichten. Es ist schon pervers, wie der Mensch und der menschengemachte Tourismus die Natur bricht und wie weit diese Profitgier geht. Das war auch ausschlaggebend, dass ich bei diesem Filmprojekt mitmachen wollte.
Ist durch diesen Dreh und dem Auseinandersetzen mit dem Thema, den Wunsch Bewusstsein für die Natur und die Umwelt zu schaffen und sich dafür einzusetzen, noch mehr gewachsen?
August: Das ist mir gerade erst bewusst geworden, als Hans von seinem Vater erzählt hat. Meine zweitgeborene Tochter Ana war Regisseurin und ist jetzt Alpinistin und Autorin. Sie schrieb «Alpensolo». In der Vorarbeit zu diesem Film hat sie mir ganz viel über die Berge und über das Ernstnehmen von Angst ins Gewissen geredet. Wie wichtig das ist, dass man nicht jeden Gipfel erstürmen muss. Ich kann auch ein Gipfel von unten bestaunen. Wir hatten fast schon philosophische Gespräche über die Berge. Sie ist sehr aktiv im nachhaltigen Tourismus. Das ist etwas, was wir uns alle zu Herzen nehmen müssen. Eigentlich sollte es klar sein, dass wir nicht in die Berge gehen und dort unseren Müll liegen lassen, aber offensichtlich gibt es auch andere Triebe.
Sie wollten zum Beispiel bei uns in Chiemgau eine Seebühne errichten, um dort «All you need is Love» als Musical aufzuführen. Hans du warst da ja auch dabei und wir haben ihnen gesagt, seid ihr wahnsinnig, dies inmitten eines Habitats von Vögeln machen zu wollen?! Nach zwei Jahren ging das Ding pleite und der Steuerzahler hats bezahlt. Es liegt nahe, sich um die Natur zu kümmern und nachhaltig zu empfinden.
Hans: Ich finde die Frage super. Mein Vater hatte in Chiemgau mit einer Bürgerinitiative ein Erschliessungsprojekt verhindert. Dieser Film ist meinem Vater gewidmet. Dies war für mich ein ganz treibender Faktor diesen Film umzusetzen. Eggers Leben und seine Schicksalsschläge stehen in direktem Zusammenhang mit den Erschliessungsarbeiten.
Man sieht, wie viel Egger körperlich arbeitet. Wie anstrengend war der Dreh tatsächlich?
Stefan: Für mich war es anstrengend, weil es viele Szenen gab, die physisch herausfordernd waren. Dieser Heuballen wog über 100 Kilo und ich habe ihn Take für Take auf meinen Rücken gehoben. Keine Ahnung wie viele Takes das waren. So viel habe ich noch nie getragen. Die Szenen bezüglich Kälte waren auch wahnsinnig herausfordernd. Die Arbeit mit Schnee. Es war mir vorher gar nicht bewusst, wie kalt Schnee ist. Stundenlang im Schnee zu wühlen, habe ich auch noch nie erlebt. Es war definitiv eines der anstrengendsten Dinge, die ich in meinem Leben physisch gemacht habe.
War es eine grosse Herausforderung in den Bergen zu drehen zum Beispiel wegen der Hanglage?
Hans: Kameramann Armin Franzen und ich haben uns lange damit beschäftigt, wie man in den Bergen drehen kann. Das Tolle ist, es gibt eine riesige Tradition von Menschen, die die Bergsicht in visueller Hinsicht revolutioniert haben. Sei es Keutner, Arnold Frank oder auch wenn man sie kaum nennen darf Leni Riefenstahl. Sie haben ohne unser heutiges aufwendiges Material grosse Kunst gemacht. Daran haben wir uns orientiert und dann alles aufgefahren, was es braucht. Es war ein sehr grosser technischer Aufwand.
August: Eine kleine politische Provokation, weil ich finde das mit Leni Riefenstahl interessant, den rechten Parteien in der Schweiz und Deutschland zu sagen: «Hey, ihr könnte euch doch mal an Leni Riefenstahl orientieren». Weil die rechten Parteien ja immer behaupten, es gibt keine Umweltzerstörung. Es wäre interessant, ihnen zu sagen, dass einer ihrer ideologischen Vorreiterinnen ganz anders über die Natur gedacht hat. Ist natürlich ein heikles Thema.
Es ist schon lustig, weil sie wollen ja, dass alles so bleibt, wie es ist. Aber wenn es so bleiben soll, wie es ist, müsste man, was ändern und zwar das ausgeartete Konsumverhalten.
Was ist euch wichtig, dass die Zuschauer mit nach Hause nehmen?
August: Den Müll (alle lachen).
Julia: Die eine Sache ist, dass wir vergessen haben im Moment zu leben, weil wir so vom Konsum getrieben werden. Der Film zeigt, dass diese Veränderung vom Menschen geschaffen wurde und es liegt auch an ihm, dies wieder zu korrigieren oder nach einer neuen Möglichkeit miteinander zu leben zu suchen. Das andere ist, die Einfachheit mit der dieser Protagonist sein Leben und seine Gefühle zeigt. Wie wenig es eigentlich braucht, um Zufriedenheit und Ruhe zu finden.
Stefan: Ja, dem Zuschauer die Möglichkeit zwischen Ansprüchen und Bescheidenheit aufzuzeigen. Mir ist dies zum ersten Mal bewusst geworden, dass jeder Mensch eines Filmes würdig ist, weil jeder so viel zu erzählen hat. Wie reich so ein Leben ist und jeder einzelne Mensch so viel mit sich trägt, was wahnsinnig kostbar und sehenswert ist.
August: Ein Verdienst von Robert Seethaler als auch von Hans, der ganzen Inszenierung und vielleicht auch von uns Darstellern ist, wenn man auf die letzten vier bzw. 150 Jahre zurückschaut, dass der Tod immer funktionalisiert wurde. Der Tod gehört zum Leben und wie Egger mit dem Begriff Tod umgeht, als Teil des Ganzen und nicht davor Angst hat, in dem er sagt «Ich habe nie an Gott geglaubt und ich hatte nie Angst vor dem Tod». Das ist interessant, dass ein so konservativ erscheinendes Wesen wie der Egger zu so einem tief philosophischen Gedanken kommen kann. Der Tod ist einfach das Ende einer Phase. Nach dem Film bin ich sehr neugierig, wie dass dann sein wird, weil der Tod ja dazugehört. Es ist natürlich eine Herausforderung, weil wir erzogen werden, Angst zu haben. Das ist schon ein bisschen komisch.
Hans: Das ist richtig. Wir würden gerne den Zuschauern zu verstehen geben, dass sie etwas mitnehmen können, was eine Veränderung bewirkt. Das ist bei uns selbst passiert, weil unser Bewusstsein vertieft oder erneuert wurde. Da ist mit allen Leuten am Set etwas geschehen. Der Film hat einen bestimmten Rhythmus und die Wirkung kommt erst hinterher, wenn man an ihn zurückdenkt.
August: Kleine Anekdote. Als wir bei dieser Hütte gedreht haben, war das ganze Team auf einer Wiese, eine Kuh hat den Kameramann gejagt, war nicht ganz ungefährlich, aber halt Filmirrsinn. Es ging bei der Szene darum, dass ich die Hand in einem bestimmten Winkel halte und das Licht stimmt. Als ich dann zum Team schaute, war hinter ihnen ein Regenbogen. Das war für mich einer der schönsten Bestätigungen, dass ich Glück habe diesen Beruf ausüben zu können.
Was von Andreas Eggers Geschichte hat euch am meisten berührt?
Stefan: Die Art und Weise wie unvoreingenommen er ist, auch unabhängig gegenüber von Meinungen der Gesellschaft. Einfach seiner Intuition folgt, sehr im Moment ist und so die Möglichkeit hat, sich zu öffnen, für was da auch kommen mag. Das birgt natürlich Gefahren. Er erleidet auch viele Schicksalsschläge, aber erst dadurch hat er auch die Möglichkeit etwas positives reinzulassen. So hat er auch seine Liebe gefunden, weil er zu dieser Offenheit überhaupt fähig war und diese Liebe zu seiner Marie intensiv gelebt hat. Das fand ich sehr bewegend.
August: Ich kann das nur fortsetzen mit einem schlichten Satz. Andreas Eggers Treue zu Marie und dieser Liebe ist bitter, aber auch schön.
Julia: Obwohl ihm auch viel Schlimmes widerfährt, setzt er nichts Schlechtes entgegen. Ich fand das total schön, dass er nicht mit dem antwortet, was ihm passiert ist.
Bilder: Daphne Chaimovitz, © 2023 by Praesens-Film. All rights reserved.
Video: Daphne Chaimovitz
Keine Kommentare