Die deutsche Schauspielerin Lilith Stangenberg (33) spielt im Film «Die schwarze Spinne» die Hauptrolle als Hebamme Christine. Anfang März treffe ich Lilith in Zürich zum Interview und bin beeindruckt von ihren inspirierenden und fundierten Antworten. Die Novelle von Jeremias Gotthelf, auf der dieser Film beruht, las sie in der Schule und ist ihr seither in Erinnerung geblieben. Was sie an ihrer Rolle besonders mag, wieso Gotthelf die Spinne als Symbol gewählt hat und was sie aus der Geschichte für sich selbst mitnimmt, erzählt sie mir im Gespräch.
Wieso wolltest du die Rolle der Christine spielen?
Ich hatte «Die schwarze Spinne» als Kind in der Schule gelesen. Ich glaube, dass war in der achten Klasse. Ich habe dieses Schicksal von Christine und die Gefühle, die das bei mir als Kind ausgelöst haben, nie vergessen. Als ich das Drehbuch in den Händen hielt und die Casting-Einladung bekommen hatte, wusste ich noch sehr genau, um was es in der Geschichte geht. Ich wollte diese Rolle unbedingt bekommen! Dieses Thema, das Christine verkörpert und diesen Gang, denn sie in diesem Film geht, ist etwas, was man in dieser Intensität eigentlich sehr selten in einer Frauenfigur findet und spielen darf. Eigentlich ist sie wie ein weiblicher Doktor Jekyll und Mister Hyde. Ich glaube, dass die Tendenz von Gut und Böse in jedem Menschen von uns veranlagt ist und Christine zu einer Symbolfigur für diese Ambivalenz und diesen Konflikt wird.
Die Geschichte spielt im 13. Jahrhundert und man weiss, dass sie ganz bestimmt fast 200 Jahre später als Hexe verbrannt worden wäre. Ich glaube, dass Gotthelf auch dieses ganze Hexenthema, die Frau in der Gesellschaft und die Frau, die sich nicht mit den Rollen, die man ihr anbietet, identifizieren kann, sondern eine Freigeisterin ist, vorwegnimmt und im Nachhinein verarbeitet. Diese Themen interessieren mich schon sehr lange.
Du hast gesagt, du kannst dich noch gut daran erinnern, was du beim Lesen der Novelle gefühlt hast. Was waren das für Gefühle und wieso hast du sie nicht vergessen?
Der Stoff hat ja diese Horror- oder Grauenelemente. Der Horror spricht ja nicht unseren Verstand an, sondern das Unterbewusste, die Urtraumata, Urgefühle oder Urängste. Als würde der Stoff eher mit unseren Albträumen kommunizieren als mit der Logik. Wahrscheinlich hat Gotthelf bestimmte Ängste getriggert.
Was magst du an Christine?
Ich spiele viel lieber die gefallenen Engel, die Ungehorsamen oder die Verlorenen. Die Heldenfiguren interessieren mich nie so wirklich. Mich haben bestimmte Aspekte fasziniert, zum Beispiel auch dieses bipolare. Sie hat eine Form von Grössenwahn, Fanatismus bis zur Besessenheit oder ein Märtyrertum. Dabei ist sie trotzdem eine Lichtgestalt und hat so etwas funkelndes. Diese beiden Gesichter, finde ich sehr reizvoll zu verkörpern.
Wieso denkst du, hat Gotthelf eine Frau als Hauptfigur gewählt, obwohl die Zeit damals sehr männerdominiert war?
Ich habe darüber nachgedacht. Die Kirche hat die Natur zum Bösen und Schlechten erklärt, deswegen ist der Teufel der Herr des Waldes, der Grüne. Ich glaube, dass die Frauen von Natur aus durch die Menstruation und die Gebärfähigkeit viel mehr Verbindung zur Natur und zum Mond haben. Deswegen schnappt der Teufel sich die Frau, weil er weiss, sie ist viel empfindsamer für seine Ideen und für das Chaos. Anhand einer Frau ein so grauenhaftes Schicksal zu erzählen, finde ich viel verstörender, als wenn es eine Männerfigur wäre.
Gab es viele Spinnen am Set?
Nein, eigentlich nicht. Das waren CGI- Spinnen (Computer Generated Imagery).
Aus Tierschutzsicht natürlich super.
Das stimmt.
Weisst du, wieso Gotthelf die Spinne als Symbol gewählt hat?
Spinnen und Tiere allgemein sind in der Literatur Versinnbildlichungen für bestimmte menschliche Themen. Die Spinne als Versinnbildlichung von dunklem, bösen und unkontrollierbaren. Der Mensch will ja immer alles kontrollieren und beherrschen durch Versand, Logik und Wissenschaft. Es gibt bestimmte Ebenen, wo diese Felder nicht mehr regieren. Meiner Meinung nach ist die Spinne ein Symbol für diese unkontrollierbare und unberechenbare Kraft der Natur und des Menschen. Auf eine Art kommt es mir auch vor, wie die Box der Pandora. Einmal geöffnet, lässt sie dich nicht mehr in Ruhe. Es beschreibt einen Zustand, der in jedem Menschen vorhanden ist.
Wie war die Atmosphäre am Set? Die Geschichte ist ja doch eher düster.
Die Themen, die wir zu verkörpern hatten, sind düster und dunkel. Klar, macht es was mit einem und entlässt einen auch nicht so ganz entspannt in den Abend. Wir haben in Ungarn gedreht. Es war der erste Film, den ich unter Corona-Bedingungen drehen durfte und alle Leute waren darüber sehr froh und dankbar. Die Ungaren sind wirklich hollywoodgestählt. Es herrscht eine hohe Arbeitsdisziplin am Set, es ist ruhig und alle setzen sich für die Sache und Vision ein. Die Stimmung war sehr angenehm. Markus Fischer ist ein Regisseur, der einem selbst viel Verantwortung überlässt und wenig beherrschen will.
Welche Botschaft möchtest du, dass die Zuschauer mit nach Hause nehmen?
Ich möchte niemandem diktieren, was er mitnehmen soll. Ich kann nur für mich selber sagen, dass in dieser sehr alten Erzählung von Gotthelf sehr viel Verständnis und Analyse von unserer Gegenwart drinsteht. Man könnte meinen, es sei eine mittelalterliche Geschichte, dabei kann man wie in den Spiegel der eigenen Gesellschaft schauen. Es geht um die Instrumentalisierung von Angst, um Machtmissbrauch, um die Angst vor dem Fremden und die ewige Suche nach einem Sündenbock. Zusätzlich geht es auch um die Verteilung von Schuld und um die Rolle einer Frau in einem patriarchalen System. Das sind alles Themen, die sehr viel mit uns und unserer Konditionierung als Frauen und Männer, zu tun haben. In dieser Geschichte kann man sich viel abholen.
Diese Geschichte könnte genauso gut heute spielen. Wir haben Krieg in Europa und das Gefühl, dass die Menschheit nicht aus der Geschichte lernt. In der Novelle von Gotthelf wird Christine von der Retterin zur Alleinschuldigen abgestempelt. Wie findest du für dich einen Umgang mit solch eher frustrierenden oder beängstigenden Situationen?
Die Möglichkeit zu Gut und Böse ist in jedem von uns veranlagt. Dies muss man akzeptieren und damit leben. Vielleicht ist es auch das menschliche Schicksal, mit diesen Ambivalenzen zu leben. Wenn man aber das Fremde und Dunkle in sich selbst – den sogenannten Schatten – verdrängen und nicht sehen will, dann sucht man immer im Aussen den bösen Fremden. Der kann alles Mögliche sein. Es lehrt uns auch die deutsche Geschichte, den eigenen Schatten nicht auszuklammern, sondern sich dem zu stellen.
Was sind deine nächsten Projekte? Darfst du schon etwas verraten?
Ich habe seither schon viel gedreht. Im letzten Oktober stand ich in Marokko für den Film «On the Creation of Earthquakes» vor der Kamera. Die Geschichte spielt im römischen Reich und handelt von dem Philosophen Seneca. Ich spiele dessen junge Frau, die im Doppelselbstmord mit ihm Suizid begehen soll. Seneca wird gespielt von John Malkovich. Es war sehr schön und aufregend, an seiner Seite zu spielen.
Wie ist es, mit einer Hollywood-Persönlichkeit zu spielen? Geht man da anders ans Set?
Wo wir gerade bei Tieren sind, es war eher, wie mit einem Tier zu spielen als mit einem Menschen. Bei Schauspielern nehme ich oft wahr, dass sie sich profilieren wollen. Es liegt ja auch in der Natur der Sache, dass man überzeugen will und hat Angst zu scheitern. Bei ihm hatte ich das Gefühl, er war nur im Momentum. Alles, was ich fühlte und dachte, spiegelte sich in seinen Augen wider. Mehr wie bei einem Tier oder einem Kind. Er verkörpert ja oft die Bösewichte und deswegen würde man dies gar nicht meinen, aber er hat eine sehr grosse Unschuld in seinem Spiel.
Bilder: Stefan Klüter, Jelka von Langen, © 2022 Ascot Elite Entertainment Group. All Rights Reserved.
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