Interview mit Meltem Kaptan

Meltem Kaptan (41) ist eine deutsch-türkische Moderatorin, Komikerin, Autorin und Schauspielerin. Im Film «Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush» spielt sie die Hauptrolle und gewann den Silbernen Bären für die beste Hauptrolle an der Berlinale 2022. Im Interview berichtet sie mir, was ihr dieser Preis bedeutet, was sie sich von den Zuschauern wünscht und wie sie mit dem Druck umgegangen ist, eine reale Person zu verkörpern.

Bild von Meltem Kaptan

Wie ist die Zusammenarbeit entstanden?
Die Casterin Karen Wendland hat mir von der Rolle erzählt, weil sie das Gefühl hatte, dass wäre was für mich. Regisseur Andreas Dresen steht für Qualität und ich finde seine Filme toll. Ich war sofort hin und weg vom Drehbuch und wollte Rabiye spielen. Mich hat diese Kraft, dieser Frau so fasziniert, wie sie dies durchgestanden hat. Ich wollte wissen, wie sie das gemacht hat und auch, ob ich dies schaffe, mit dem Wissen, dass mein Kind gefoltert würde. All dies wollte ich für mich in Erfahrung bringen.

Wie viel wusstest du vorher über Rabiye Kurnaz und ihre Geschichte?
Ich hatte Murat Kurnaz nach seiner Rückkehr bei der Talkshow «Beckmann» gesehen. Weil er so langsam gesprochen hat, hat man sehr gemerkt, wie traumatisiert er war. Dieses ganze Erscheinungsbild von ihm, liess mich erstarren. Nachher hörte man aber nicht mehr viel darüber. Ich wusste zum Beispiel nicht, welche Rolle seine Mutter bei seiner Freilassung gespielt hat.

Wie oft habt ihr euch getroffen, damit sie so authentisch wie möglich im Film rüberkommt?
Ich hatte genau einen Abend und den Vormittag mit ihr, weil alles so schnell ging. Es ist so eine bemerkenswerte Frau! Zuerst haben wir mit ihrem Auto eine Spritztour gemacht und ich dachte, ich sterbe gleich. Sie fährt genau so wie im Film (lacht). Sie hat eine sehr einnehmende Persönlichkeit und kann dich in einer Sekunde zum Lachen oder zum Weinen bringen. Sie ist eine sehr emotional starke Frau.

Bild aus dem Film «Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush»

Was findet sie den Film?
Sie liebt ihn und musste sich immer wieder kneifen, weil sie das Gefühl hatte, sie spielt sich selbst. Die Kinder sehen auch ihre Mutter. Das ist das schönste Kompliment, dass man kriegen kann. Jedes Mal, wenn sie den Film sieht, durchlebt sie nochmals alles.

Wie geht sie damit um?
Man muss auch sagen, dass der Film kein Happyend ist. Murat Kurnaz ist zwar zurückgekommen, hatte aber emotionale Narben davongetragen und musste den Weg zurück ins Leben finden. Er arbeitet nun als Sozialarbeiter, ist verheiratet und hat drei Kinder. Besonders schön finde ich, dass sie so positiv geblieben sind, sich nicht gegenüber Menschen verschlossen und keinen Groll entwickelt haben.

Habt ihr heute noch Kontakt?
Ich habe ihr gerade zum Muttertag gratuliert. Sie ist natürlich die Übermutter schlecht hin. Als ich den Silbernen Bären gewonnen habe, habe ich sie gleich kontaktiert. Ich versuche sie in allem, was den Film betrifft, miteinzubeziehen. Es ist ihr Film und eine Hommage an sie. Rabiye ist auch sehr oft bei den Premieren dabei.

Bild aus dem Film «Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush»

Dies war deine erste Hauptrolle in einem Kinofilm in Deutschland, dazu die Verkörperung einer realen Person. War der Druck da grösser?
Ja! Du möchtest die Person nicht verärgern, traurig stimmen oder pietätlos sein. Sie haben sowieso so etwas unfassbares an Ungerechtigkeit schon erlebt. Das Letzte, was irgendjemand aus unserem gesamten Filmteam wollte, war, sie erneut zu verletzen. Der Film soll eine Liebeserklärung an Rabiye sein und ihre Leistung würdigen. Wir waren unglaublich nervös, wie sie den Film annehmen. Die Familie und auch Bernhard Docke sind super glücklich damit.

Wie bist du mit diesem Druck umgegangen?
ich habe mich versucht, auf die Rolle zu konzentrieren und so nah wie möglich, an Rabiye zu bleiben. Deswegen habe ich oft auch mit ihr telefoniert. Die Drehbuchautorin Laila Stieler hatte sich auch beim Schreiben immer wieder mit ihr getroffen. Dies geht nur, weil Rabiye Kurnaz und Bernhard Docke uns so viel Vertrauen geschenkt und uns alles erzählt haben.

Wie lange hat die Maske gedauert?
Zuerst wurden mir die Haare sechsmal blondiert, das ging etwa 14 Stunden. Danach kamen noch Extension dazu. Jeden Tag waren es ca. eineinhalb bis zwei Stunden für die Befestigung der Extension und das Älterschminken. Ich war immer die erste und letzte am Set (lacht). Im Schnitt hatte ich drei Stunden Schlaf, aber weil mein Adrenalinpegel immer so hoch war, bin ich damit gut gefahren.

Wie war es, in Amerika und in der Türkei zu drehen?
Ich habe eine Zeit lang in Amerika und in Istanbul gelebt. Da zu drehen, war toll. Es zeigt aber auch, was für einen Weg Rabiye Kurnaz und Bernhard Docke zurückgelegt haben. Es war eine aufregende Reise, auch für den Film.

Bild aus dem Film «Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush»

Für deine Leistung hast du den Silbernen Bären für die beste Hauptrolle an der Berlinale 2022 erhalten. Was bedeutet dir dieser Preis?
Er bedeutet mir sehr viel. Die Berlinale steht für mich für Internationalität, wo das Herz für den Film schlägt. Deswegen war für mich die Berlinale schon immer sehr faszinierend. In diesem Kontext diesen Preis zu bekommen, hat eine Zauber, den ich nicht missen möchte.

Wie hat dich die Geschichte verändert?
Bei der Vorbereitung habe ich das Buch von Murat Kurnaz «Fünf Jahre meines Lebens» gelesen und es schauderte mich, wie viel Gewalt möglich ist. Noch mehr, weil der Film so aktuell ist. Wenn du bedenkst, was in unserer Zeit los ist und das Guantanamo auch noch existiert. Obwohl die Geschichte 20 Jahre her ist, haben wir heute immer noch mit diesen Themen zu tun. Dies schaudert mich und ist sehr traurig.

Auf der anderen Seite ist der Film sehr universell, weil die Kraft der Mutter universell ist. Bei der Pressekonferenz an der Berlinale haben viele Journalisten gesagt, dass dies auch eine Mutter aus ihrem Land sein könnte und der Film zum Beispiel unbedingt nach Mexico oder Indien muss. Es ist eine Mutter, die für ihren Sohn kämpft.

Inspirierend finde ich auch, dass sie als Hausfrau und Mutter zeigt, dass man es schaffen kann, egal wie widrig die Umstände sind und welchen Bildungsabschluss oder sozialen Status man hat. Sie sucht sich einen Anwalt, reist extra in die Türkei und spricht mit Ministern. Das ist sehr beeindruckend.
Genau, der Ton im Film ist ein mutmachender und er zeigt, dass Menschen über sich hinauswachsen können. Wir neigen leider dazu, dass wir Menschen schubladisieren. Das ist nur eine Mutti. Wir haben kein Vertrauen darin, dass Menschen an ihren Aufgaben wachsen können. Das ist eine Hausfrau und Mutter aus Bremen, die bis ans Ende der Welt geht, gegen den US-Präsidenten George W. Bush klagt und gewinnt. Wir haben doch mehr Macht und Möglichkeiten, als wir denken. Ich würde mir wünschen, dass Menschen, die schlimme Dinge erlebt haben und in einer Art Ohnmacht verfallen, durch diesen Film etwas Positives und Hoffnungsvolles finden, um weiterzumachen und in ihrer Kraft zu bleiben.  

Zurzeit sitzen immer noch 39 Menschen ohne Anklage in Guantanamo. Weisst du, was dagegen gemacht wird?
Amnesty International war immer ein sehr wichtiger Wegbegleiter von Rabiye Kurnaz und Bernhard Docke. Sie begleiten uns auch seit Beginn, sind auch an den Premieren dabei und machen zum Beispiel mit Unterschriftsaktionen darauf aufmerksam.

Welche Botschaft möchtest du, dass die Zuschauer mit nach Hause nehmen?
Dieses Hoffnungsvolle, dass der Film ausmacht. Mein persönlicher Wunsch ist, dass wir Menschen mehr Vertrauen in ihre Fähigkeiten schenken und sie nicht in Schubladen stecken. Die Kraft hinter dem Mutterdasein sollte anerkannt werden, und dass Menschen an ihren Aufgaben wachsen können.

Was sind deine nächsten Projekte?
Ich moderiere weiterhin die Kabarett-Fernsehsendung «Ladies Night» auf ARD, bei der Frauen und ihre Themen eine Bühne bekommen. Sonst trete ich an Comedyshows auf und versuche gleichzeitig dem Filmischen gerecht zu werden.

Bild von Daphne Chaimovitz und Meltem Kaptan

Bilder: Guido Schröder, © 2022 Filmcoopi AG

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