Was für eine Powerfrau!! Rachel Braunschweig (51) aus Zürich ist Schauspielerin, Mama und hat eine Ausstrahlung, die einen sofort in den Bann zieht. Beim Interview sprühte sie nur so vor Freude, als sie von der Schauspielerei und ihrer Hauptrolle als Marina im Film «Spagat» erzählt. Das ist genau der Grund, weshalb ich gerne Menschen interviewe, die Freude an ihrem Beruf haben. Sie stecken mich damit an und geben mir Motivation und Kraft, meinen eigenen Weg weiterzugehen.
Leider dauert es noch ein wenig, bis «Spagat» in die Kinos kommt. Zuletzt konnte man Rachel in den Filmen «Zwingli» und «Wolkenbruch» auf der Kinoleiwand bewundern. Beides Kassenschlager! 2017 gewann sie den Schweizer Filmpreis für die Beste Darstellung in einer Nebenrolle im Film «Die göttliche Ordnung». Wer weiss, vielleicht gibt es dieses Mal eine Nomination als beste Hauptdarstellerin.
Wann war für dich klar, dass du Schauspielerin werden wolltest?
Ich habe eine Affinität zu Sprachen. Vor allem Deutsch gefällt mir sehr gut. Ich konnte schon früh sehr gut vorlesen und Texte auswendig lernen. In meiner Vorstellung wollte ich aber lieber Tänzerin werden, weil für mich Bewegung und mich mit dem Körper ausdrücken zu können, sehr wichtig war.
In Bern habe ich dann ganz naiv die Schauspielprüfung gemacht, weil sie dort progressiver waren als in Zürich. Ich bin sehr weit gekommen, als ich dann aber ausgeschieden bin, wars das für mich. Ich ging dann nach Berlin, wo ich mich zwar für einen Workshop eingeschrieben hatte, aber lieber Party machte (lacht). Ich begann Germanistik und Komparatistik zu studieren. Einer meiner Dozenten brachte mich zurück ans Theater. Erst dann habe ich realisiert, dass dies ein Handwerksberuf ist. Deswegen studierte ich Schauspiel- und Theaterpädagogik an der Zürcher Hochschule der Künste. Ich bin Schauspielerin geworden, weil ich Geschichten erzählen möchte.
Nach welchen Kriterien suchst du dir deine Rollen aus?
Mir gefallen Rollen am besten, die eine Entwicklung durchleben. Figuren, die wir kennen und tagtäglich erleben, denen Leben eingehaucht wird und Widersprüche. Das macht es für mich sehr spannend, diese Rollen darzustellen.
Was hat dich an der Rolle der Marina gereizt?
Der erste Punkt war, dass es eine Frau Mitte 40 ist. Man weiss, dass Rollen für Frauen über 30 im Vergleich zu denen ihrer männlichen Kollegen leider immer noch deutlich unterrepräsentiert sind. Es hat mich positiv überrascht, dass ein junger Regisseur und Autor eine Geschichte über eine Frau in den Vierzigern schreibt.
Zweitens ist die Figur voller Widersprüche. Ich konnte sofort andocken, weil ich dies auch aus meinem eigenen Leben kenne. Man lässt sich voller Leidenschaft und Neugier auf etwas ein, was dann fatale Folgen hat. Als Schauspielerin kann ich hier eine breite Palette an Emotionen zeigen.
Zuletzt die Themen Zusammenleben, Familie und die Wertevorstellungen in der Schweiz. Sind sie noch adäquat in dieser Form, wie wir sie kennen? Ich war sofort gefesselt von der Geschichte, als ich das Drehbuch las, weil es mich sehr berührt hat.
Was waren die Herausforderungen bei dieser Rolle?
Zur Emotionalität der Figur konnte ich leicht einen Zugang finden. Ich hatte mehr Mühe mit dem Zeitdruck und der Umstand, dass ich zuweilen am Ende eines anstrengenden Arbeitstages innerhalb von 15 Minuten schauspielerisch auf dem Punkt sein musste, weil das Licht schwindet. Aber auch das ist eine Realität beim Filmschaffen.
Wenn ich das Gefühl habe, dass ich unter meinen Möglichkeiten bleibe, weil äussere Umstände mich behindern, werde ich sauer. Ich funktioniere unter Druck und die Regie ist mit mir zufrieden. Aber als Schauspielerin will ich es doch immer noch ein bisschen besser machen.
Eine ganz andere Herausforderung war die Sprache. Ich konnte mich mit dem Schauspieler Alexej Serebrjakow kaum unterhalten. Er spricht praktisch nur Russisch und wenig Englisch. Dies gibt aber eine ganz eigene Qualität beim Drehen. Wir hatten uns einmal vor dem Dreh gesehen und die erste Szene war gleich eine Liebesszene. Es hat aber sofort gepasst. Das ist mir sehr wichtig, wenn der Funke überspringt und es harmoniert.
Welche Botschaft möchtest du mit diesem Film vermitteln?
Eine grosse Zahl der Crew-Mitglieder hat am Set gesagt, dass sie viele Situationen aus ihren eigenen Leben kennen. Es ist kein moralischer Film. Er bietet eine Horizontöffnung und die Erkenntnis, dass man nicht alles kontrollieren kann. Da sehe ich auch Parallele zum Film «Die göttliche Ordnung». Wenn das Politische ins Private bricht und man sich positionieren muss, dann merkt man schnell, dass es nicht nur schwarz und weiss gibt. Platz schaffen für das Fremde und Andere, das ich so nicht kenne.
Gibt es jemanden, mit dem du unbedingt einmal zusammenarbeiten möchtest?
Ich würde sehr gerne international arbeiten, weil ich gerne mit meiner Arbeit reise. Mit dem Theater war ich oft auf Reisen und konnte die jeweiligen Kulturen nochmals ganz anders kennenlernen. Es gibt natürlich unzählige, mit denen ich arbeiten möchte.
Machst du lieber Theater oder Film?
Früher fand ich beides in der Kombination super. Heute würde ich mich für den Film entscheiden.
Was ist dein Wunsch für die Zukunft?
Ich möchte mal eine klug geschriebene Komödie und in einer Serie in der Liga von «Borgen», «Shtisel» oder «Babylon Berlin» spielen. Ich wünsche mir weiterhin inhaltlich relevantes Kino zu machen und mehrdimensionale Figuren zu spielen. Zudem möchte ich durch anspruchsvolle Drehbücher das Publikum in seinen Sehgewohnheiten herausfordern. Ich glaube, dass die Arbeit an «Spagat» ein gutes Beispiel dafür ist, was ich mir für die Zukunft wünsche.
All dies wünsch ich Rachel sehr!
Bilder: Rachel Braunschweig, Anne Morgenstern, Steffi Henn, Daphne Chaimovitz
Make-up and Styling: Patrick Kaestli
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